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0695 - Blut an bleichen Lippen

0695 - Blut an bleichen Lippen

Titel: 0695 - Blut an bleichen Lippen
Autoren: Jason Dark
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Gesicht.
    Groß, unheimlich, verzerrt, hexenhaft. Dazu mit einem Mund versehen, der so wirkte, als wollte er mich schlucken, mich zerreißen und mich anschließend verdauen.
    Das Wasser hatte die Haare in die Höhe gespült. Sie erinnerten mich an dünnen Tang, aber immer wieder verschwamm das Gesicht vor meinen Augen, und ich merkte auch nicht, daß sich große Hände näherten, die mit kräftigen Fingern versehen waren.
    Sie packten zu.
    Sie zerrten an mir, sie schüttelten mich, und sie schafften es, mich in die Höhe zu reißen.
    Das bekam ich nur am Rande mit. Ich dachte auch an mein Kreuz und daran, daß ich es womöglich verloren hatte und es jetzt irgendwo im Schlamm lag.
    Dann riß es den Mund auf.
    Die Atemnot hatte mich bisher furchtbar gequält. Es spielte keine Rolle mehr, ob Wasser in die Lungenflügel drang oder nicht. Der Punkt der völligen Gleichgültigkeit war erreicht.
    Ich keuchte, ich atmete - und ich trank die herrlich kühle, wenn auch nasse Luft.
    Ich hatte es geschafft. Ich steckte nicht mehr unter Wasser, ich war wieder hochgeschwemmt worden, ein gütiges Schicksal hatte mir einen schrecklichen Tod erspart.
    Oder nicht?
    Etwas zerrte und riß an mir. Es hatte sich unter meinen Armen festgesetzt, es klemmte in den Achselhöhlen und drückte dort die dünne Haut zusammen.
    Und es schleifte mich durch das Wasser.
    Durch einen See, den die Wellen noch immer aufgewühlt und in eine tosende Hölle verwandelt hatten.
    Aber ich bekam Luft. Es war nicht überall Wasser. Es gab Schaumstreifen, Gischtwolken, die dafür sorgten, daß ich atmen konnte, aber trotzdem kaum zu Kräften kam, denn man zog mich wie einen Sack über das Wasser.
    Aber wer tat dies?
    Ich öffnete die Augen, das Wasser rann hinein, es fand auch den Weg in meinen Mund.
    Ich schmeckte den fauligen Gestank nach allmählich vergehendem Tang und nach alten Algen.
    Kleine Blätter und Seegras klebten in meinem Gesicht, wurden wieder weggespült, etwas Neues kam hinzu, und auch meine unmittelbare Umgebung veränderte sich, denn ich spürte jetzt harten Widerstand unter meinen Füßen. Auch hörte ich seltsam dumpf klingende Geräusche, die von meinen Tritten hinterlassen wurden.
    Es war der Steg!
    Ich war gerettet!
    Diese beiden Tatsachen kristallisierten sich allmählich hervor, aber noch immer war ich dermaßen groggy, daß ich mich aus eigener Kraft kaum bewegen konnte.
    Man zog mich.
    Sie zog mich.
    Der Geist…
    Ich befand mich in ihrer Gewalt, und ich dachte daran, daß sie trotz allem Klauen besaß, die brutal zupacken konnten, was einem normalen Geist eigentlich widersprach.
    Da ich nicht zu ihren Freunden gehörte, gab es nur eine Möglichkeit. Sie würde versuchen, mich zu töten. Und das sehr bald, nämlich dann, wenn wir den Steg hinter uns gelassen hatten.
    Dort schleuderte sie mich noch einmal hoch, bevor sie mich losließ und ich auf den Rücken fiel.
    Ich landete relativ weich, der Boden federte den Aufprall ab, und ich kam mir vor wie ein nasser, toter Riesenkäfer, dem die Kraft brutal geraubt war.
    Sie stand vor und über mir.
    Aus dieser kurzen Entfernung hatte ich ihr Gesicht noch nie gesehen, und auch die kalten Lippen nicht, die den Mund so ungewöhnlich eckig formten, damit sie ihre Todesküsse verteilen konnte.
    Die Lippen besaßen dieselbe Farbe wie die Augen. Sie schimmerten bläulich, gleichzeitig grau und mit einem leichten Grünstich versehen, keine normalen Lippen.
    Meine Furcht steigerte sich. Erst vor wenigen Minuten hatte ich noch Angst davor gehabt, zu ertrinken. Das war nicht mehr der Fall, jetzt graute mir vor dem Kopf.
    Die Augen waren schlimm.
    So starr, so ausdruckslos, aber gleichzeitig kamen sie mir vor, als würden sie mich sezieren. Über die hellen Knochen spannte sich eine dünne Haut, sie zuckte, als das Wesen seinen Mund bewegte und darüber sprach, daß ich ihr Opfer werden würde. Ich sollte den Todeskuß empfangen; alle, die sie aufhalten würden, bekamen ihn. Sie war der Schutzengel der Frauen, sie war dazu verflucht, keine Ruhe zu finden und zwischen den Dimensionen zu wandern, um den Auftrag zu erfüllen.
    Immer, für alle Zeiten…
    »Den Kuß!« zischte sie mir entgegen. »Ich werde dir den Todeskuß geben! Ich werde dir das untere Gesicht zerreißen, damit du in deinem eigenen Blut ersticken kannst!«
    Es ging mir noch nicht gut. Ich atmete längst nicht normal. Was da über meine Lippen drang, war mehr ein Keuchen und Ächzen und dazwischen ein Schnappen nach Luft.
    Verdammt, wie
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