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0695 - Blut an bleichen Lippen

0695 - Blut an bleichen Lippen

Titel: 0695 - Blut an bleichen Lippen
Autoren: Jason Dark
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ich davon aus, daß dieser kleine See die Wohnstatt oder der Aufenthaltsort des Geistes war, und ich wollte daran glauben, daß sich die Erscheinung nach dem Auftauchen am Haus des Pfarrers wieder hierher zurückgezogen hatte.
    Das alles strömte mir durch den Kopf. Ich dachte auch an den ersten Angriff der Lilian Demarest, als ich auf dem Dach der Garage stand. Da war das Gespenst über mich gekommen wie ein Sturmwind.
    Ja, sie war stark, sie war mächtig. Aus diesem Grund trug ich mein Kreuz auch sichtbar vor der Brust.
    Sollte sie doch kommen, ich würde eine Warnung schon früh genug erhalten. Bisher aber hatte sie sich nicht blicken lassen. Die Erscheinung blieb verschwunden, und es kam mir beinahe vor, als wollte sie mich damit ärgern. Bisher hatte ich nur in eine Richtung geschaut. In den folgenden Sekunden änderte sich das. Noch auf der schmalen Ruderbank sitzend, drehte ich mich um und schaute jetzt zu dem Uferstreifen hinüber, von dem ich losgerudert war.
    Dort lag der Schilfgürtel wie ein dunkler Zaun. Dahinter wuchsen die Bäume hoch, verschmolz das Unterholz mit den Stämmen zu einem lichten Gespinst, aber ich entdeckte weder den Küster noch meinen Rover.
    Ich tröstete mich damit, daß der Schilfwall doch ziemlich hoch aus dem Wasser ragte und das, was sich dahinter befand, meinen Blicken entzog.
    Das Wasser lag wieder glatt. Der Himmel sah nicht anders aus als vor einer Stunde.
    Es hatte sich nichts verändert - äußerlich zumindest. In meinem Innern allerdings spürte ich, daß es nicht mehr lange dauern konnte, bis die Erscheinung wieder sichtbar wurde. Ich konnte den Grund nicht nennen, es war mehr ein Gefühl, das sich im Laufe der Jahre entwickelt und mich selten betrogen hatte.
    Änderten sich bereits die Schatten? Wurden sie länger und dunkler? Versank der See in einen Zustand der Lethargie, die aus einem fremden Reich hergeschickt wurde?
    Ich wußte es nicht, ich konnte nur meinen Gefühlen folgen, und sie sendeten mir diese Veränderung zu. Da hatte sich etwas verdichtet, da war die Luft glasiger geworden und schien jetzt einen gewissen Wiederstand zu besitzen, den ich beim Rudern zunächst einmal überwinden mußte.
    Etwas kroch über meinen Rücken. Es fühlte sich an, als würden sich zahlreiche Spinnenbeine bewegen.
    Es war nur der Schauer…
    Ich fror ein wenig. Der Wind, eigentlich fast schon eingeschlafen, frischte wieder ein wenig auf. Er strich über die ruhige Oberfläche hinweg und hinterließ auf ihr ein zitterndes Wellenmuster, das auch gegen den plumpen Kahn anlief und ihn in leichte Schaukelbewegungen versetzte, die ich nicht ausgleichen konnte.
    Vorboten…?
    Ich schaute wieder dorthin, wo ich den Wagen zurückgelassen hatte. Das Schilf war ebenfalls vom Wind erfaßt worden. Es bewegte sich wie nach einer schwerfälligen Melodie, aber die Laute, die entstanden, wenn die Rohre aneinanderschabten, erreichten meine Ohren nicht. Dazu war die Entfernung zu groß.
    Wellen tanzten auf dem Wasser. Manchmal reflektierend, als wollte sie mir zublinzeln.
    Und auch der Schilfvorhang ›tanzte‹ schwerfällig weiter…
    Sogar der bleiche Fleck, der sich zwischen den dunklen Rohren bewegte. Nebel? Dunst? Möglich, denn an den Ufern stiegen die ersten feinen Schwaden in die Höhe, als wollten sie den See und seine unmittelbare Umgebung zum Abend und zur Nacht zudecken.
    Sie blieben zunächst dort, wo sie entstanden waren, bis auf diese eine Nebelinsel.
    Die wanderte weiter. Sie löste sich vom Ufer und schwebte lautlos der Mitte des Sees entgegen, wo ich einsam und verlassen im Boot hockte.
    Das war nicht normal, verdammt! Nein, das kam einfach nicht hin, das mußte Lilians Geist sein!
    Ich hielt den Atem an, obwohl er von mir noch relativ weit entfernt war.
    Aber er hatte ein Ziel, und das war ich.
    In diesen Augenblicken hätte ich mir gern einen klaren Sonnenschein oder wenigstens helles Licht gewünscht, um klar sehen zu können, beides war nicht vorhanden, und so sah ich weiterhin nur diesen ungewöhnlichen Umriß, der einem Tuch gleich über die Wasserfläche schwebte und sich mir näherte.
    Noch kristallisierte sich dort keine Gestalt hervor. Auch mit viel Phantasie hätte ich in der Wolke keinen menschlichen Umriß ausmachen können.
    Das änderte sich.
    Der Dunst schien zur Seite geblasen zu werden, obwohl ich in meinem Boot nichts bemerkt hatte.
    Jedenfalls teilte er sich, befreite die Ränder und ließ nur den Mittelpunkt frei.
    Und da war sie!
    Sie hatte sich nicht
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