Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0688 - Das Hohe Volk

0688 - Das Hohe Volk

Titel: 0688 - Das Hohe Volk
Autoren: Claudia Kern
Vom Netzwerk:
Glasscherben knirschten unter ihren Schuhen. Obwohl die Wracks längst gelöscht waren, hing der Geruch nach verbranntem Gummi in der Luft.
    Ein leichter Nieselregen setzte ein.
    Zamorra bemerkte, wie sich nach und nach die Augen der Polizisten auf ihn und Nicole richteten. In ihrer vornehmen Abendgarderobe mussten sie zwischen all den dunklen Uniformen und verkohlten Fahrzeugen einen fast schon surrealen Anblick bieten.
    »Wir hätten uns vielleicht doch vorher umziehen sollen«, murmelte er. Es gefiel ihm nicht, so viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
    Zum einen waren weder er noch Nicole offiziell zu diesem Fall hinzugezogen worden. Wenn einer der Polizisten auf die Idee kam, seinen Vorgesetzten zu informieren, hatte Robin ein Problem.
    Zum anderen mochte Zamorra kein Publikum, wenn er Magie einsetzte. Zwar war die Zeitschau absolut ungefährlich für andere, aber er wusste nicht, was ihn sonst noch an diesem Ort erwartete. Unliebsame Überraschungen konnte es immer geben.
    »Lässt sich nun mal nicht ändern«, sagte Robin schulterzuckend, der wie immer etwas zerknittert aussah und damit ebenfalls einen starken optischen Kontrast zu den beiden Dämonenjägern darstellte. »Mir fällt schon was ein, sollte es Ärger geben.«
    Nicole sah ihn zweifelnd an. »Wenn du meinst.«
    Zamorra stellte sich neben den Kreideumriss und zog das Amulett unter seinem Hemd hervor. Ein kurzer Gedankenbefehl ließ ihn in eine Halbtrance sinken, während seine Finger die Hieroglyphen am Rand der Metallscheibe verschoben.
    Vor seinen Augen entstand in der Mitte des Amuletts eine Art Mini-Bildschirm. Zamorra lenkte die Bilder im Schnellrücklauf in die Vergangenheit. Er sah die Aufräumarbeiten, die Bergung der Leiche, den Anbruch des Morgens, dann die verstörten Opfer, die ziellos über die nächtliche Autobahn stolperten.
    Aus den Augenwinkeln bekam er mit, dass Nicole dicht neben ihn getreten war und die Bilder ebenfalls beobachtete.
    Im nächsten Moment tobte das Chaos auf dem kleinen Bildschirm. Der Neandertaler stand mitten auf der Straße und hieb mit seinem Schwert auf die heranrasenden Fahrzeuge ein.
    Etwas zerrte an ihm.
    Zamorra ging weiter in der Zeit zurück, bis der Unbekannte verschwand. Erst dann schaltete er die Zeitschau auf normale Geschwindigkeit um. Fast eine Minute lang sah er nichts außer vorbeihuschenden Lichtkegeln, dann tauchte der Neandertaler urplötzlich auf der mittleren Spur auf. Er schien aus dem Nichts gekommen zu sein. Seine entsetzten Gesichtszüge wirkten im weißen Licht der Scheinwerfer geisterhaft bleich.
    Er hob das Schwert.
    Das Zerren wurde stärker.
    Zamorra stoppte die Wiedergabe des aussichtslosen Kampfes und fuhr sie zurück. Er konnte sich nicht vorstellen, was der Neandertaler gefühlt haben musste, als die Autos auf ihn zurasten.
    Für ihn mussten das grauenhafte Ungeheuer gewesen sein. Vielleicht hatte er das Brummen der Motoren für ihren Kampfschrei gehalten und versucht, sich zu wehren.
    Etwas hüllte seinen Körper ein.
    Der Dämonenjäger betrachtete noch einmal den Punkt, an dem der Neandertaler aufgetaucht war. Selbst in der Zeitlupe konnte er nicht erkennen, wie er auf der Autobahn gelandet war.
    Zamorra stutzte.
    Etwas stimmte nicht.
    Er hatte dieses Gefühl bereits seit einigen Minuten, aber in der Halbtrance hatte er es nicht wahrgenommen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass etwas an ihm zog.
    Es wollte ihn in eine bestimmte Richtung drängen, die nicht oben oder unten, rechts oder links lag, sondern daneben. Er fühlte sich wie ein Schwimmer, der hilflos in einen riesigen Mahlstrom gerissen wird.
    Zamorra katapultierte sich förmlich aus der Trance.
    Warum unternimmt das Amulett nichts, dachte ein Teil von ihm, während ein anderer Nicole warnen wollte.
    Aber es war zu spät.
    Die Umgebung verschwand. Zamorra glaubte in einen riesigen Tunnel zu stürzen. Haltlos wurde er durch etwas geschleudert, das weder Raum noch Zeit war und trotzdem existierte. Mal fühlte es sich warm wie ein Lebewesen an, mal so kalt wie das All.
    Zamorra konnte nicht atmen, nichts sehen, war völlig schwerelos. Er spürte seinen Körper nicht mehr. Vielleicht war er noch da, vielleicht hatte etwas aber auch seinen Geist herausgerissen und in diesen Strudel geschleudert.
    Er bemühte sich, die Kontrolle zu behalten und seine Situation zu analysieren, aber sein Verstand war wie gelähmt. Er konnte keinen einzigen klaren Gedanken fassen. Alles drehte sich.
    Und dann war es vorbei.
    Der Strudel spie ihn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher