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065 - Der Geisterreiter

065 - Der Geisterreiter

Titel: 065 - Der Geisterreiter
Autoren: Hivar Kelasker
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uns herüber, als wir über die schmale Holzbrücke fuhren, deren Bohlen unter den Reifen des Volkswagens ächzten und knarrten. Ein langer Blitz erhellte den Horizont. Die Wipfel dunkler Tannen und das Blätterfiligran schlanker Birken zeichneten sich wie ein Scherenschnitt gegen den Himmel ab. Es war wie eine Momentaufnahme voll dunkler, ein wenig schauerlicher Schönheit.
    „Hoffentlich regnet es nicht“, sagte Jürgen Sander neben mir. Er fuhr schnell und sorglos, denn die Gegend war ihm inzwischen so vertraut, daß er jedes Schlagloch der neun Kilometer langen Strecke kannte. Sein linker Ellenbogen ruhte auf dem Blech der Wagentür, die linke Hand hielt das Steuer. Den rechten Arm fühlte ich auf meiner Schulter.
    „Seid ihr noch nicht fertig mit den Ausgrabungen?“
    Jürgen lachte leise. Er war sehr gut gelaunt und hatte allen Grund dazu. Das Archäologenteam, mit dem er arbeitete, hatte einen beachtlichen Fund gemacht. Während seine fünf Kollegen bei den Wohnwagen und Zelten ein Freudenfest veranstalteten, war er zu mir nach Stalberg gekommen – in das Haus meiner Eltern. Seine Art, den Erfolg zu feiern, war mir sehr sympathisch.
    „Nein, es bleibt noch viel zu tun, aber unser heutiger Fund ist außerordentlich kostbar. Selbst wenn die Grabung durch einen Platzregen überflutet und zerstört würde, könnte der Wert unserer Arbeit nicht gemindert werden, Ille!“ meinte er.
    Das Fernlicht riß die Konturen des Hohlweges aus der Dunkelheit. Er wirkte wie ein langer Tunnel, der mitten in die Nacht hineinführte. Ich rückte näher an Jürgen heran, suchte die Nähe seines Körpers, aber sein Wagen war für romantische Augenblicke nicht geeignet. Ich sah aus dem Fenster und den Mückenschwärmen zu, die im Scheinwerferlicht wie Staubwirbel tanzten.
    „Weshalb hast du es dann so eilig?“ erkundigte ich mich.
    „Wir haben zwar die beiden Krieger aus dem Moor geborgen und in die Baracke gebracht, aber sämtliche Waffen und Grabbeigaben liegen noch draußen. Es wäre doch schade, wenn …“
    „Verstehe.“
    Durch das Summen des Motors hörten wir jetzt das erste ferne Donnern. Jürgen hatte recht. Das Wetter konnte jeden Augenblick umschlagen; denn schließlich hatte es sechs Wochen nicht mehr geregnet. Sie hatten unter sehr günstigen Bedingungen arbeiten können und wollten ihre Chance voll ausnutzen.
    Ich hatte den Männern oft zugesehen, wie sie im Teufelsmoor gegraben hatten. Umsichtig, und doch von einer gewissen Besessenheit erfüllt, waren sie an die Arbeit gegangen.
    Es begann damit, daß ein Förster ein guterhaltenes Hunnenschwert fand. Dann besichtigte Stadtschulrat Reiser die Fundstelle, ließ sie abriegeln und verständigte die zuständige Behörde. Eine Woche später war das Team der Universität da und begann zu graben. Schon nach zehn Tagen stand fest, daß die Männer ein Kriegergrab aus der Zeit des Hunnensturmes gefunden hatten.
    Der Wagen schleuderte leicht auf dem ausgefahrenen Weg. Jürgen störte das nicht. Er streichelte meinen Nacken und sagte belustigt: „Die anderen werden morgen früh einen dollen Brummschädel haben. Bei dem Bierkonsum!“ „Schon möglich“, gab ich zurück. Wir verließen den schmalen Waldgürtel, der zwischen der Kreisstadt Stalberg, dem Dorf Sammerath und dem Hochmoor lag. Immer wieder zuckte ein Wetterleuchten über den Himmel und erhellte für Augenblicke das Moor, das unheimlich und gespenstisch vor uns lag. Die Scheinwerfer strichen über verkrüppelte kleine Eichen, deren gekrümmte Zweige sich wie drohend erhobene Finger zu bewegen schienen. Ein Gefühl der Angst erfaßte mich.
    „Wie spät ist es, Jürgen?“ fragte ich bangend.
    „Mitternacht ist vorbei!“ sagte er. „Dort vorn siehst du schon die Lichter!“
    Das Biwak war noch mindestens eineinhalb Kilometer entfernt, nur die Lichter der Scheinwerfer stachen regungslos durch die Dunkelheit. Die Furcht ließ mich nicht los.
    „Ich erkenne sie!“ erwiderte ich leise. Er mußte an meiner Stimme gemerkt haben, daß ich Angst hatte. Jürgen fuhr langsamer, nahm den Gang heraus und blendete ab, als wir auf einem einigermaßen ebenen Stück des Weges waren. Als der Motor abgeschaltet war, hörten wir deutlich den Donner des weit entfernten Gewitters und ein hohles, feines Sausen. Ein nächtlicher Wind kam auf.
    „Was ist los mit dir, Illemädchen?“ fragte er und wandte sich zu mir um. Ich sah sein Gesicht im Licht der Armaturen und zog die Schultern hoch. Plötzlich merkte ich, daß ich
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