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065 - Der Geisterreiter

065 - Der Geisterreiter

Titel: 065 - Der Geisterreiter
Autoren: Hivar Kelasker
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glaubte, eine am Boden liegende Gestalt gesehen zu haben. Jürgen leuchtete, und jetzt erkannten wir deutlich, daß es tatsächlich ein Körper war. Wir gingen näher heran.
    „Mein Gott!“ sagte Jürgen völlig gebrochen. „Es ist Rudolf. Er ist mit dem alten Ding ermordet worden.“
    Wir kauerten uns neben der Leiche nieder. Der vierte Tote! Und obwohl wir es beide nicht aussprachen, wir wußten, daß auch Kiessinger zu den Opfern des Wahnsinnigen zählte. Oder war er sogar selbst der Mörder, der seine Kameraden im Streit getötet hatte?
    Eigentlich sprach alles gegen diese Theorie.
    Rudolf Osten hatte offensichtlich auf dem leichten Feldstuhl gesessen und sich gegen den dicken Stamm einer verwitterten Birke gelehnt, als ihn der Tod überraschte. Auf der rechten Seite des Stuhles sah man ein Zahnputzglas, auf der linken die Rotweinflasche, die genau waagerecht in das spärliche Gras gefallen sein mußte und daher noch halb voll war. Osten mußte später heruntergerutscht sein.
    Es war ein schrecklicher Anblick, wie sich die Hände des jungen Mannes um den rostigen, abblätternden Griff eines großen Dolches klammerten, der bis zum Heft in seinen Körper hineingestoßen worden war. Möglicherweise war die Waffe auch mit großer Wucht geworfen worden. Osten hatte die Augen geschlossen, und sein Gesicht zeigte die Spuren eines kurzen, sehr heftigen Schmerzes.
    „Tot!“ sagte Jürgen neben mir. „Rudolf Osten tot – er war noch so jung – ein ganzes Leben lag vor ihm!“
    Ich sah Jürgen an, wie er so verzweifelt auf den Toten starrte. Sein Gesicht wirkte wie erloschen. Dann zog er mich hoch und schloß mich in seine Arme. In diesem Augenblick löste sich die Sperre in mir, die der Anblick der gräßlich zugerichteten Menschen verursacht hatte. Ich klammerte mich an den Geliebten und weinte mich an seiner Schulter aus.
    Mit mechanischen Bewegungen streichelte Jürgen über meinen Rücken, bis ich mich einigermaßen beruhigt hatte. Dann sagte er tonlos: „Ille, wir müssen weiter!“
    Der böige Wind hatte sich inzwischen zu einem Sturm gesteigert. Er riß und zerrte an unseren Hemden und schlug die Jeans an unsere Beine. Ich nickte und wischte mir die Tränen ab.
    Wir liefen an der Rückseite der Wohnwagen vorbei, leuchteten in das leere Zelt hinein, rochen den verschütteten Wein und nahmen einen schwachen Geruch nach Benzin war, der wohl aus dem kleinen Generator stammte.
    „Hinüber zur Grabung!“ ordnete Jürgen an. Er wartete nicht auf meine Antwort, sondern zog mich mit sich. Seine Schritte wurden schneller. Schließlich liefen wir über den schmalen, ausgetretenen Pfad auf das terrassenförmige Loch im Moor zu und blieben an dessen Rand stehen. Karren, Siebe und Werkzeuge waren hier sauber zusammengestellt.
    Jürgen leuchtete schräg abwärts. Etwas Grundwasser war ausgetreten, in ein Loch gesickert und zu einer braunen, jetzt tiefschwarz schillernden Brühe geworden. Halb darin versunken – nur der Oberkörper ragte noch heraus – lag Kiessinger. Wir erkannten ihn an seiner Wildlederjacke, die ihm eine Spur zu eng war. Neben ihm steckte ein Spaten, dessen Schneide vom häufigen Gebrauch glattgeschliffen war und wie Silber schimmerte.
    „Der Schädel!“ rief Jürgen entsetzt.
    Er war mit einem wuchtigen Hieb gespalten worden. Ich wandte mich schaudernd um.
    „Alle fünf!“ murmelte Jürgen. Er wiederholte es mehrmals.
    Mit war speiübel, und ich hatte nur den einen Wunsch, von hier wegzukommen – alles zu vergessen. Ich versuchte mir einzureden, daß das alles nur ein fürchterlicher Traum war, aus dem ich jeden Augenblick erwachen mußte. Doch Jürgen machte mir gleich darauf klar, daß es sich um Realitäten handelte.
    Unnatürlich ruhig sagte er: „Wir müssen nach Stalberg zurück … Alle sind tot! Ermordet! Alle fünf – alle fünf …“
    Mit zitternden Knien schleppten wir uns zu Jürgens Wagen. Zwei Menschen, die einem grausigen Tod ins Auge gesehen hatten und sich jetzt wie ausgehöhlt fühlten. Hinter uns erhellte Blitz um Blitz die makabre Szene. Ein Donnerschlag krachte nach dem anderen und rollte mit lautem Getöse durch den Himmel. Das Gewitter stand jetzt genau über uns.
    Die Natur schien sich in einem ungeheuerlichen Aufruhr zu befinden.
    Jürgen öffnete mir die Tür und kurbelte die Scheibe hoch, ehe er sie zuwarf. Dann schaltete er die Lampe aus und warf sie auf den Rücksitz.
    Jürgen startete. Krachend legte er den ersten Gang ein, fuhr mit zu viel Gas los und
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