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0649 - Der Junge von Stonehenge

0649 - Der Junge von Stonehenge

Titel: 0649 - Der Junge von Stonehenge
Autoren: Jason Dark
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Zeit fuhren die Bahnen rasch hintereinander, um die Menschenmassen bewältigen zu können. Immer wenn ich auf die
    ›Tube‹ wartete, kamen mir einige Fälle in den Sinn, die ich bereits mit den U-Bahnen erlebt hatte. Einmal hatte mich die Bahn sogar in eine andere Dimension geschafft. Menschen auf dem Bahnsteig, Gesichter. Manche leer, andere versonnen blickend, wieder andere ärgerlich schauend, wenn die Menschen an den vor ihnen liegenden Tag dachten. Das Bild änderte sich fast nie, war jeden Morgen das gleiche, eben weil die Leute in diesen Rhythmus hineingepresst wurden.
    Mich erschreckte diese maskenhafte Gleichgültigkeit. Da waren keine Emotionen vorhanden. Wer sie tatsächlich verspürte, der verstand es meisterhaft, sie zu unterdrücken.
    Der Zug war pünktlich. Von der linken Seite her rauschte er in den Bahnhof. Aus dem Tunnelloch drang die tonnenschwere Masse Stahl, die über die Schienen getrieben wurde, begleitet von schrillen, ratternden und zischenden Geräuschen, die abnahmen, als der Zug an Tempo verlor.
    Wie rollende Kästen huschten die ersten Wagen an mir vorbei. Ich stand immer an einer bestimmten Stelle und wusste auch genau, wo ich einzusteigen hatte.
    Vor mir öffnete sich die Tür. Einen halben Schritt ging ich zur Seite, um den einsamen Fahrgast aussteigen zu lassen, der den Wagen an dieser Station verließ.
    Ich war der dritte, der einstieg. Niemand drängelte oder hetzte, alles lief nach dem eingespielten Ritual ab. Es fuhren fast immer die gleichen Personen, und so war es schon fast eine Selbstverständlichkeit, dass jeder irgendwo seinen Stammplatz im Wagen besaß, wo er sich hinstellte, sich an einer Stange oder einem Griff festhielt und in der anderen die lesegerecht gefaltete Zeitung hielt, die er während der Fahrt studierte.
    Ich machte da ebenfalls keine Ausnahme. Es ging ja alles automatisch, war wie jeden Tag.
    Das Schließen der Türen, die Geräusche der Fahrgäste, die leise geführten Unterhaltungen der meist weiblichen Fahrgäste, der Geruch von Mensch, Druckerschwärze und Metall und dazwischen das harte Umblättern der gefalteten Seiten.
    Eine Welt für sich, an die man sich jedoch sehr gut gewöhnen konnte.
    Wir rollten los.
    Auch das bekam ich kaum mit. Ich hatte mich ebenfalls festgeklammert.
    Die Hand umschloss einen Haltegriff. Den Ruck beim Anfahren bekamen wir alle mit und pendelten ihn als Profifahrer geschickt wieder aus.
    Wenig später zischten die Kästen hinein in den Tunnel, und wie immer flackerte das Licht.
    In Europa tat sich wieder einiges, wie ich auf der ersten Seite lesen konnte. Germany wuchs immer mehr zusammen, und einigen meiner Landsleute passte dies nicht. Die entsprechenden Kommentare waren zu lesen.
    Ich verstand diese Menschen nicht, denn ich fühlte mich längst als Europäer und nicht als Insulaner wie viele Briten. Deutschland gehörte nun mal zusammen. Ich hatte es selbst gemerkt, als ich in Leipzig den Leichenfürst jagte.
    Bei der nächsten Station stiegen mehr Fahrgäste ein als aus. Wir mussten enger zusammenrücken. Keiner murrte, in den Londoner U-Bahnen ging es gesittet zu, zumindest während des Berufsverkehrs.
    Die erste Seite der Zeitung hatte ich gelesen, wollte umblättern und bewegte mich dabei.
    Mit dem Ellbogen stieß ich gegen einen Kopf, wollte mich dafür entschuldigen, schaute aber hin - und verstand die Welt nicht mehr.
    Neben mir stand der Junge!
    Gegen seinen Kopf war ich gestoßen. Er reichte mir fast bis zur Schulter, schaute hoch, mich an, so dass wir uns in die Augen sehen konnten, und wieder überkam mich dieses ungute Gefühl. Der Blick des Jungen kam mir vor, als sollte ich bis in die Tiefen meiner Seele ausgelotet oder seziert werden.
    Seine Lippen bewegten sich, er lächelte leicht. Die Mundwinkel zuckten dabei.
    Ich nickte ihm zu, bevor ich mich für den Rempler entschuldigte. Er hob nur die Schultern.
    Ich wollte weiterlesen, schaffte es aber nicht, mich zu konzentrieren. Der Junge lenkte mich einfach zu stark ab. Dabei gelang es mir nicht zu unterscheiden, ob mir seine Anwesenheit ein körperliches Unwohlsein bescherte. Es gefiel mir einfach nicht, dass er neben mir stand.
    Wegschicken konnte ich ihn nicht.
    »Wir haben uns oben schon gesehen, nicht?« sagte er ruhig.
    Ich ließ die Hand mit der Zeitung sinken. »Das stimmt.«
    »Wohin fahren Sie denn?«
    »Zu meiner Arbeitsstelle.«
    »Ach so.«
    »Und was ist dein Ziel?« Er hob die Schultern, schaute an mir vorbei.
    »Ich weiß nicht genau. Durch
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