Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
061 - Im Reich der Tausend

061 - Im Reich der Tausend

Titel: 061 - Im Reich der Tausend
Autoren: Ronald M. Hahn
Vom Netzwerk:
melden. Und um Verstärkung zu holen.
    Die von zahllosen Inseln durchzogene Meerenge, die Vancouver Island im Osten vom Festland trennte, war eine spiegelblanke Eisfläche.
    Als Commander Matthew Drax im Inneren des Eisseglers aus einem kurzen und unruhigen Schlaf erwachte, spürte er als erstes seine steifen Knochen. Er schaute sich um.
    Aruula hatte sich wie eine Katze auf dem hintersten der drei Sitze zusammengerollt. Sie atmete regelmäßig und schien, wie ihr Lächeln bezeugte, einen ähnlich schönen Traum zu haben wie er.
    Er hatte von einer romantischen nordischen Landschaft geträumt, den schneebedeckten Gipfeln der Berge, die den Alaska Highway säumten, den reißenden Flüssen, den endlosen Wäldern, den stets herbstlichen Farben des fantastischen Landes, das er 1999 als junger Spund mit einem Wohnmobil bereist hatte.
    All dies gab es nicht mehr. Alaska und Kanada lagen aufgrund der vor über fünfhundert Jahren erfolgten Polverschiebung unter einer dicken Schnee- und Eisdecke. In dieser Witterung waren die Bäume bis zum letzten Stamm verreckt. Die Flüsse waren nicht, wie früher im Winter, nur zugefroren, sondern völlig vereist. Die Tiere der Wildnis, sofern sie überhaupt überlebt hatten, waren in den Süden der Vereinigten Staaten emigriert. Eiskalte Stürme beherrschten nun das Land.
    Aiko Tsuyoshi, der den Segler mit dem stoischen Gleichmut eines Lebewesens steuerte, dessen bionische Gliedmaßen nie ermüdeten, deutete auf den Himmel. »Sieht nicht gut aus.«
    Matthew Drax nickte. Der Himmel war dunkelgrau. Schwere Schneewolken dräuten, wohin das Auge schaute. Große Flocken peitschten gegen das Cockpit des Fahrzeugs, dessen Rumpf Ähnlichkeit mit einem Segelflugzeug besaß. Das Heulen des Windes nahm zu. Von Westen her raste ein Sturm heran, der den Eissegler hin und wieder zur Seite schlittern ließ.
    »Wir brauchen einen Unterschlupf«, sagte Matt.
    »Vancouver ist nicht weit entfernt«, meinte Aiko nach einem Blick auf das Radargerät.
    »Dann nichts wie hin«, erwiderte Matt, »bevor uns der Sturm zerlegt.«
    Aikos bionische Hände bedienten die Steuerung mit der lässigen Eleganz eines Pianisten. Der Segler beschrieb eine ausgedehnte Kurve nach Osten und glitt, nun mit Rückenwind, rasend schnell auf die an der ursprünglichen Küste liegende kanadische Stadt Vancouver zu.
    Aruula erwachte und reckte sich.
    Das Knirschen der Kufen wurde lauter. In der Ferne ragten, wie faule Zahnstummel, die Ruinen von Hochhäusern auf. Dass die ehemals schönste kanadische Stadt ein Trümmerfeld war, konnte man aus dieser Entfernung mit bloßem Auge nicht erkennen, deswegen hob Matt den Feldstecher an die Augen. Sein Blick wanderte über die Skyline, und in seiner Erinnerung regte sich so einiges, was er über die wichtigste am Pazifik gelegene Hafenstadt Kanadas wusste: Die nach dem britischen Captain George Vancouver benannten Stadt war nicht nur ein Handelszentrum gewesen. Hier hatte man auch Holz, Metall und Textilien verarbeitet und Nahrungsmittel produziert, und sie hatte auch eine Universität beherbergt. Vor fünfhundert Jahren war Va ncouver so bunt bevölkert gewesen wie New York: Italiener, Griechen, Portugiesen, Franzosen, Deutsche, eine halbe Million Asiaten, darunter zahlreiche Hongkong-Chinesen, Japaner, Inder, Pakistani, Vietnamesen…
    Nun sah er nur die eingestürzten Dächer von Wolkenkratzern und finstere Fensterhöhlen.
    Die Küste raste ihnen entgegen. Aiko suchte eine bequeme Auffahrt. Seine verbesserten Augen sichteten eine sanft ansteigende Erhebung, und er lenkte den Eissegler der Kuppe entgegen. Auf der anderen Seite ragten überall Schneehügel auf, unter denen Matt Ruinen und Fahrzeugwracks vermutete. Er sah weder Mensch noch Tier.
    Die in Stein gehauenen und verrosteten Firmennamen auf den Hochhäusern waren kaum zu entziffern. Die seit Jahrhunderten durch die Stadt pfeifenden Stürme hatten Fenster und Türen aus den Gebäuden gerissen. Außerdem hatten die Generationen nach der Kometen-Katastrophe vermutlich jedes Stück Holz verheizt, das sie in die Finger bekamen.
    Als der Eissegler über eine endlos lange Bahn jagte, von der Matt annahm, dass es eine der früheren Hauptstraßen Vancouvers war, nahmen Wind und Schneefall dermaßen zu, dass sie hin und wieder vom Boden abhoben.
    Jetzt wurde es kritisch. Sie konnten sich eine Menge leisten, aber keine Havarie. Wenn der Segler ausfiel, sah die Lage übel aus - ungefähr wie die eines antiken Cowboys, dem mitten in der Wüste
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher