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061 - Der Blutgraf

061 - Der Blutgraf

Titel: 061 - Der Blutgraf
Autoren: A.F.Morland
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Cassandrini?«
    Das rothaarige Mädchen bekam keine Antwort. Ob sie den Grafen suchen sollte? Vielleicht erwartete er das von ihr. Vielleicht hatte er sich in sein Schlafgemach zurückgezogen und wartete im Bett auf sie.
    Ein Spiel? Er hätte sie mit den Regeln vertraut machen sollen. Sie wußte ja nicht, wie sie sich verhalten sollte. Auf dem großen Tisch aus Eichenholz stand eine Obstschale mit herrlichen, verlockenden Früchten.
    Wie gemalt sahen sie aus.
    Ricarda Volonte pflückte sich eine dunkelblaue, große Weintraube, schob sie sich in den Mund und zerquetschte sie mit einem sanften Druck ihrer Zähne.
    Der süße Saft spritzte aus der Traube und füllte den Mund des Mädchens. Als sie sich noch eine Traube nehmen wollte, hörte sie wieder dieses geisterhafte Knarren.
    Und dann vernahm das rothaarige Mädchen Schritte.
    Der Graf kam!
    Ricarda schauderte leicht. Sie blickte den langsam gesetzten Schritten entgegen, und Augenblicke später sah sie den Mann, der sie hierhergebracht hatte.
    Fast hätte sie ihn nicht wiedererkannt. Ein wenig blaß kam er ihr vor, aber vielleicht war der schwarze Anzug daran schuld. Einen pechschwarzen Umhang trug er auch noch. Die Kleidung paßte ins vorige Jahrhundert, aber nicht in die heutige Zeit.
    Ricarda lächelte ihn unsicher an. »Da sind Sie ja.«
    »Tut mir leid, daß Sie so lange warten mußten«, sagte Conte Cassandrini sanft.
    Ihr fiel auf, daß sich seine Augen verändert hatten. Sie sahen aus, als wären sie entzündet oder… als würden sie glühen.
    »Wie gefällt Ihnen mein Schloß?« fragte der Graf.
    »Es ist ein wenig…«
    »Unheimlich?«
    »Ja.«
    »Nun, früher hat man anders gebaut. Man lebte in ständiger Angst vor räuberischen Feinden und versuchte sich vor Überfällen zu schützen, indem man sich mit dicken Mauern umgab. Außerdem sollte das Bauwerk trotzig, feindselig und uneinnehmbar wirken. Jene, die es darauf abgesehen hatten, sollten von seinem Anblick abgeschreckt werden, und die, die es doch wagten, anzugreifen, wurden grausam niedergemetzelt, damit sich keine Nachahmer fanden. Die Abschreckung wurde damals sehr groß geschrieben. Heute belächelt man diese Einstellung. Es gibt Bomben, Raketen, Panzer, Flugzeuge. Heute gehört zum Kämpfen kein Mut mehr. Man sieht dem Feind nicht mehr ins Auge, wenn man ihn tötet, sondern drückt einfach auf einen Knopf. Manche sind sich dessen, was sie damit auslösen, nicht einmal bewußt. Es ist ein Krieg der Feiglinge…«
    Conte Cassandrini sprach immer leidenschaftlicher.
    »Früher brauchte man ein gewisses Maß an Grausamkeit, um zu überleben. Man stand einem Menschen gegenüber, hatte ihn in einem wilden Kampf entwaffnet und wußte, daß man ihn nun töten mußte. Er flehte um sein Leben, doch man durfte es ihm nicht lassen, denn sonst würde er eines Tages wiederkommen, und dann geriet man vielleicht in seine Lage. Man setzte ihm das Schwert an die Brust und durchbohrte erbarmungslos sein Herz!«
    Ricarda schluckte trocken. »Großer Gott, Sie schildern das so, als wären Sie damals dabei gewesen.«
    Marco Cassandrini lächelte sonderbar. »Vielleicht war ich das. Wie alt schätzen Sie mich?«
    Sie musterte sein Gesicht mit der ungesunden Blässe. »Knapp fünfzig?«
    »Könnten Sie sich vorstellen, daß ich sehr viel älter wäre? Zweihundert - dreihundert - vierhundert Jahre?«
    »Hören Sie auf«, sagte Ricarda Volonte schaudernd. »Damit machen Sie mir Angst.«
    Er kam näher. Das rothaarige Mädchen fühlte sich auf eine eigenartige Weise von ihm angezogen. War es seine starke Persönlichkeit, die sie in seinen Bann zog?
    »Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte Conte Cassandrini. »Sie sind bei mir, und Sie stehen unter meinem persönlichen Schutz. Niemand außer mir darf Ihnen etwas antun.«
    Sie schaute ihn verwirrt an. »Wie meinen Sie das?«
    Er überging ihre Frage. »Möchten Sie etwas trinken, Ricarda?«
    Auf jeden Fall wollte sie das, um die Furcht loszuwerden. Sie war verkrampft. Der Alkohol würde die Verkrampfung lösen.
    Marco Cassandrini ging an ihr vorbei. Er füllte zwei funkelnde Bleikristallgläser mit Rotwein.
    »Vino rosso«, sagte er und reichte ihr eines der beiden Gläser. »Sehen Sie ihn sich an.« Er hielt das Glas gegen das Licht. Einen Moment war sein schmales Gesicht dunkelrot beleuchtet. »Ich liebe diese Farbe. Es ist die Farbe des Blutes. Ich liebe Blut.«
    Es rieselte dem Mädchen eiskalt über den Rücken. War Conte Cassandrini nicht normal? Er ging nur
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