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0603 - Nächte des Schreckens

0603 - Nächte des Schreckens

Titel: 0603 - Nächte des Schreckens
Autoren: Andreas Kasprzak
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die unsichtbare Sprecherin seinen Namen, wiederholte ihn ohne Unterbrechung.
    Schließlich hielt Mike es nicht mehr aus. Panik hatte sich seiner bemächtigt. »Verflucht, wer ist da?« schrie er lauthals. »Was soll dieser Mist?«
    Keine Antwort. Bloß immer wieder sein Name, gequält jetzt, gepeinigt. Und irgendwie anklagend.
    »Michael… Michael…«
    »Was?« brüllte er. »Was willst du?«
    Wieder keine Reaktion.
    Das schreckliche Wispern kam immer näher, wurde zunehmend lauter. Gleichzeitig breitete sich im Haus undurchdringliche, unnatürliche Schwärze aus, die wie ein schwarzes Loch im Weltraum alles Licht verschlang. Selbst das Mondlicht, das durch die drei gelösten Bretter des Fensters fiel, neben dem Mike stand, war nur noch ein vager grauer Schemen in der Finsternis.
    Das Wispern wurde so laut, daß er sicher war, nicht mehr allein im Wohnzimmer zu sein, und Mike tastete sich in der jetzt vollkommenen Dunkelheit vorwärts. Er streckte seine Hände aus, suchte in der Finsternis nach dem Fenster. Er wollte aus diesem Gespensterhaus fliehen. Doch seine Finger ertasteten keine feste Materie.
    Selbst als er weiter nach vorne taumelte, blind, ängstlich, erreichte er die Wand nicht. Dabei hatte er keinen halben Meter davon entfernt gestanden, als das Flüstern begann.
    Es war, als hätten sich die Mauern der Villa irgendwie aufgelöst, als gäbe es sie einfach nicht mehr.
    Es war, als befände er sich im Nichts.
    Und die Frau raunte weiter seinen Namen.
    »Michael… Michaeeeelll…«
    Panisch stolperte er weiter, halb von Sinnen vor Angst. Er wollte weg von dieser Stimme, die von überall und nirgends zu kommen schien. Er wollte fort von dem grauenvollen, anklagenden Wispern, das ihn rief, immer wieder, drängend, anklagend…
    Dann blieb er mit einem Mal so abrupt stehen, als wäre er in der Finsternis gegen eine Wand gelaufen. Doch das war nicht der Fall. Um ihn herum war nichts. Nur Leere. Sein plötzliches Zögern hatte einen anderen Grund.
    Diese Stimme…
    Er kannte sie wirklich !
    Es war schon fast zwanzig Jahre her, seit er sie zum letzten Mal gehört hatte. Doch sie hatte ihn begleitet, seit er auf die Welt gekommen war.
    Sie hatte ihn ermahnt, nicht mit dem Feuer oder Besteck zu spielen. Sie hatte ihn dazu angehalten, sich immer ordentlich die Füße zu waschen, damit er sich, falls er einen Unfall hatte und ins Krankenhaus kam, nicht zu schämen brauchte.
    Nachdem sein Vater eines Tages mit der Nachbarin durchgebrannt war, hatte diese Stimme ihm immer wieder prophezeit, daß er es im Leben niemals zu etwas bringen würde, daß sich ein anständiges Mädchen nie mit einem Kerl wie ihm einließe.
    Die Stimme, die ihm all die Jahre, stellvertretend für seinen Vater, die Pest an den Hals gewünscht hatte, voller Haß und Abscheu!
    Es war die Stimme seiner Mutter!
    Doch das war unmöglich.
    Vollkommen unmöglich!
    Denn Floriana Myers war seit dreiundzwanzig Jahren tot und begraben…
    ***
    »Michael«, rief seine Mutter, die Stimme bebend vor Pein, Qual und Anklage. »Michael…«
    Mike drehte sich in der Dunkelheit um. Sein Herz raste, klopfte wie ein Schmiedehammer. Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht, näßte den Kragen seines Wollpullovers. Er starrte in die Finsternis, unfähig, sich zu rühren. Die Angst hielt ihn gefangen, lähmte ihn wie ein bösartiges Gift.
    Plötzlich teilte sich die Schwärze wie der Vorhang in einem Theater. Und eine Gestalt trat aus dem Dunkel. Sie strahlte in der Finsternis wie ein Engel, ohne die unmittelbare Umgebung dabei jedoch zu erhellen.
    Eine alte Frau mit eingefallenem, faltigem Gesicht. Die dunklen, fast schwarzen Augen lagen tief in den Höhlen, die hageren Züge waren ein einziger Ausdruck der Anklage.
    Mike Myers spürte, wie seine Beine weich wie warmes Gummi wurden und unter ihm nachzugeben drohten. »Oh, Gott«, ächzte der Obdachlose fassungslos. »Oh, mein Gott. Mutter…«
    Die Frau kam langsam näher, schwebte aus dem Nichts auf ihn zu, sie schien inmitten der Schwärze zu schweben. Sie trug ein weites, weißes Gewand, das Mike als das Totenhemd erkannte, mit dem sie begraben worden war, nachdem…
    Mikes Gedanken drifteten davon, als seine Mutter keine zwei Schritte von ihm entfernt verharrte und ihn mit ihren dunklen, gefühllosen Augen anstarrte. Sie hörte auf, seinen Namen zu rufen, sah ihn nur durchdringend an. Stille lag über der Szene.
    Einen Moment lang geschah nichts.
    Bewegungslos standen sich Mutter und Sohn
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