Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
060 - Trip in die Unterwelt

060 - Trip in die Unterwelt

Titel: 060 - Trip in die Unterwelt
Autoren: Dämonenkiller
Vom Netzwerk:
Hügels, der von zwei Reihen unregelmäßiger riesiger Felsklötze gesäumt war.
    Dort, wo ich stand, begann ein Dreieck, das unten an der Brandung am breitesten war. Rechts befand sich die unbefestigte Straße, die nie in ihrem Leben Asphalt gesehen hatte und die nächsten Jahrzehnte auch wohl kaum kennen lernen würde.
    Einen Schauerroman sollte ich schreiben. Die Landschaft, der Wind und die Regenwolken vor dem Mond sollten mich eigentlich inspirieren, wohl auch die aufgewühlten Wellen dort unten, deren gleichmäßiges Rauschen meinen Schlaf begleitete.
    Wieder dachte ich an Angela Puddu, die schöne Sardin. Und wieder schrie dort hinten, in der Richtung, wo der Ort Palau lag, qualvoll und lange ein Tier.
    Ich bekam eine Gänsehaut. Wenn ein Esel schreit, dachte ich, dann hört es sich immer so an, als ob er lebendig gehäutet werden würde.
    »Da stehst du nun, James Ving«, sagte ich und hörte nicht einmal meine eigenen Worte, weil der Sturm sie mir von den Lippen riss.
    Ich warf die Zigarette fort.
    James Ving war mein Pseudonym. Eigentlich hieß ich Arnold Valgruber, ein Name, den meine sardischen Freunde nur mit Schwierigkeiten aussprechen können. Mit zweiunddreißig Jahren hätte ich eigentlich über derartige Stimmungstiefs erhaben sein und versuchen müssen, ein einigermaßen anständiges Manuskript herzustellen; aber es war zum Verrücktwerden. Ich schaffte einfach weder einen guten Anfang, noch wusste ich eine Handlung, die gut durchkonstruiert und glaubhaft war. Dabei war das hier der richtige Platz, um mich zu inspirieren. Sämtliche Zutaten waren vorhanden. Ich brauchte mich nur umzusehen.
    Eine schauerliche, fremdartige Musik wehte von irgendwoher zu mir herüber. Der Wind schleppte die abgehackten Töne mit. Sie kamen aus Nordwesten, aus der Richtung von Liscia Ruja.
    Angela war eine Sardin mit weicher, brauner Haut und hellbraunem Haar, was eine Seltenheit zwischen fast ausnahmslos schwarzhaarigen Menschen war. Im Gegensatz zu den meisten anderen Frauen war sie groß und schlank. Dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Jahre alt. Ich sah sie fast jeden Tag an der Kasse des kleinen Geschäftes, wo sie saß, mich ansah und durch mich hindurchblickte, aber ich wusste, dass sie mich schon an meinen Schritten erkannte.
    Ich verließ den geschützten Platz unter den raschelnden Pinien und tappte geduckt zwischen den Felsen und der langen Mauer auf die Granittreppe, die zum höchsten Punkt des Hügels führte, zu. Der Wind riss an mir, aber er vertrieb den Geschmack der Zigaretten aus meinem Mund.
    Ich kam immer dann hierher, wenn ich glaubte, durch Ruhe und Einsamkeit und umgeben von einer ursprünglichen Natur zu mir zu finden, um gut arbeiten zu können. In der Regel traf dies auch zu, denn die Ablenkungen waren hier ziemlich gering. Kaum jemand besuchte mich, aber ich konnte jederzeit mit meinem kleinen Fiat überall hinfahren, Geselligkeit erleben, Menschen sehen und mit ihnen sprechen.
    Die Musik wurde lauter. Hier oben verwandelte sich der Wind in ein gleichmäßiges Stöhnen. Ich sah undeutlich zwischen den Feldern kleine Lichter schwanken. Was war dort los? Ich blickte genauer hin, erkannte aber keine Einzelheiten.
    »Verdammt!«, knurrte ich, unschlüssig, wie ich die Nacht verbringen sollte.
    Ich konnte vor dem knackenden, lodernden Kaminfeuer lesen, mich betrinken, gleich ins Bett gehen oder noch einmal versuchen, einen einigermaßen plausiblen Anfang zu erfinden.
    Normalerweise schrieb ich ein Manuskript in einem halben Monat nieder – plus einiger Tage Bearbeitung. Aber ich hatte noch keinen richtigen Leitfaden für diesen Roman. Ich besaß mindestens dreißig Szenen von starker Aussagekraft, aber mir fehlte das verbindende Element. Vielleicht sollte ich mich wirklich betrinken, denn erfahrungsgemäß kam ich nicht weiter, wenn ich es allzu angestrengt versuchte.
    Ich warf einen letzten langen Blick auf die Szenerie unter mir. Der Golf von Arzachena war weiß von den Schaumkronen des aufgewühlten Meeres. Es roch nach Salzwasser. Die vor dem fast vollen Mond treibenden Wolken veränderten ständig ihre Form. Einzelne Sterne funkelten auf und erloschen. Hin und wieder strahlten die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos die verkrüppelten Bäume an. Und der Leuchtturm von Capo Farru schickte seinen spitzen Lichtstrahl unablässig über das Meer und das Land. Weit und breit war kein einziges erleuchtetes Fenster zu sehen. Um Mitternacht schlief ganz Sardinien.
    Oder doch nicht?
    Der Esel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher