Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
fragte dann:
    „Sie sind doch wohl Studenten, meine Herren, nicht?“
    Ich nickte; Carpio aber zog seinen Schülerpaß aus der Brusttasche, schob ihn dem Sicherheitsbeamten in die Hand und antwortete:
    „Ja, wir sind Studenten. Bitte, überzeugen Sie sich!“
    Der Gendarm öffnete den Paß, las ihn und gab ihn mit einem eigentümlichen Lächeln und den Worten zurück:
    „Wenn Sie das alles sind, was hier verzeichnet steht, so sind Sie ein gemachter Mann, lieber, junger Herr!“
    „Das alles bin ich allerdings!“ versicherte mein Busenfreund in stolzem Tone. „Es ist sogar der Gymnasialstempel darauf gedrückt.“
    „Den sehe ich nicht!“
    Carpio sah den Paß nun selbst auch an und fand, daß das, was er in der Hand hatte, ein Verzeichnis der Regierungsjahre der deutschen Kaiser von Karl dem Großen bis auf Franz den Zweiten war. Er suchte eine ganze Zeit lang nach dem Passe und rief, als er ihn nicht fand, entrüstet aus:
    „Das ist nun wieder einmal ein Versehen von meiner Schwester, die mir diese Tabelle anstatt des Passes in die Tasche gesteckt hat. Solche Tollheiten können doch unbedingt nur bei Personen vorkommen, welche keine Masculina, sondern entweder Feminia oder Neutra sind!“
    „Machen Sie sich darüber keine Sorgen!“ tröstete ihn der Polizist. „Ich habe nicht nach Ihrem Paß gefragt; man sieht es Ihnen ja an, daß Sie das sind, wofür Sie sich ausgeben, und wenn es unter besonderen Umständen nötig sein sollte, so wird Ihr Kollege seinen Paß besitzen, welcher Sie dann beide legitimiert.“
    „Hast du denn deinen?“ fragte mich Carpio.
    „Ja, denn ich verlaß' mich nicht auf meine Schwestern, die übrigens ihre Sinne stets beisammen haben. – Kann vielleicht unsereins hier in diesem Hause auch wohnen, Herr Unteroffizier?“
    „Hm“, brummte der Mann. „Ich wunderte mich schon darüber, daß Sie hinein wollen, denn es ist eine Herberge für Handwerksburschen. Kommen Sie lieber mit zum Franzi! Ich gehe eben hin und werde Sie führen.“
    Diese Aufforderung war jedenfalls recht gut gemeint, aber Carpio fiel schnell ein:
    „Hat er ein Hotel, einen Gasthof? Ist es teuer bei ihm?“
    Da schlug der Beamte eine breite, behäbige Lache auf und antwortete:
    „Der Franzi? Teuer? Zumal gegen die Herren Studenten? Hahahaha! Da müssen Sie ihn kennenlernen! Er ist auch Student gewesen; er hat auf Schulmeister studiert, die Sache aber aufgegeben, weil ihn die reiche Wirtin zum Manne genommen hat. Nun spricht er von nichts lieber als von seinem Studium und hat keine größere Freude, als wenn Studenten bei ihm einkehren. Wenn sie ihm gefallen, so ist es dann sein Gaudi, daß er sich nichts bezahlen läßt. Kommen Sie nur; die Sache läßt sich wohl machen!“
    Er ging voran, und wir beide folgten ihm; dabei hielt mich mein Freund ein wenig zurück und fragte besorgt:
    „Du, ob wir diesem famosen Wirte Franzi wohl gefallen werden?“
    „Warum sollten wir denn nicht?“
    „Weil jeder Mensch seinen besonderen Geschmack hat. Wenn er seinen Narren an uns frißt, so ist es wohl möglich, daß wir nichts zu bezahlen brauchen; aber wenn er uns erst fein und teuer traktiert und dann hinterher nicht leiden mag, so können wir leicht mit einem einzigen Schlag um dein und mein ganzes Vermögen kommen!“
    „Das steht nicht zu befürchten. Man bezahlt doch nichts, was man nicht selbst bestellt hat, und wir werden uns wohl hüten, eine große Rechnung auflaufen zu lassen. Es gibt derartige Menschen, wie der Gendarm den Franzi beschreibt – Schulmeister studiert! – sie besitzen keine akademische Bildung, denken aber vielleicht, noch mehr als das zu können. Wenn man sie bei dieser ihrer Meinung läßt, fließen sie vor lauter Freundschaft über. Dieser Franzi ist vielleicht ein hübscher, junger Mensch gewesen und hat nur aus diesem Grunde eine reiche Frau bekommen. Wir werden ja sehen.“
    „Höre, Sappho, du sprichst ja wie ein Buch, und noch dazu gar wie ein gedrucktes! Das hast du während unserer jetzigen Reise noch nicht getan!“
    Sappho! Da kommt es doch ans Tageslicht, was ich verschweigen wollte! Man weiß, daß fast kein Student oder Gymnasiast ohne Spitznamen bleibt; ich war bis vor kurzem so glücklich gewesen, nur bei meinem gewöhnlichen Namen genannt zu werden, aber das war seit meinem Weihnachtsgedichte anders geworden. Man hatte nach einem Dichternamen für mich gesucht, und da dieser doch einen scherzhaften Anstrich haben mußte, war man auf den sonderbaren Gedanken gefallen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher