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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht
Autoren: Karl May
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unserer Kapitalien dienen, falls wir gezwungen sein sollten, in einem fragwürdigen Hause zu übernachten. Als er es gleich im ersten Quartier an die Tür befestigen wollte, hatte er, oder vielmehr seine Schwester, wie er behauptete, die dazu nötigen vier Schrauben daheimgelassen.
    Es muß gesagt werden, daß unser Rendezvous das Städtchen Rehau in Oberfranken war. Von da wanderten wir, die vier Zigarren schmuggelnd, nach Asch, und dann ging es auf Eger zu. Mit dieser für unsere Finanzen ganz bedeutenden Großstadt konnten wir uns nicht abgeben, wanderten also hindurch und noch einige Kilometer weit nach Tirschnitz, wo wir nach langem, anstrengendem Marsche abends spät und ermüdet ankamen. Wir zahlten jeder ein Bier, für zwanzig Kreuzer Kartoffeln mit Quark und ließen uns dann unsern Schlafsalon anweisen, welcher die schwere Summe von fünfzig Kreuzer kostete. Hier war es, wo uns die Zigarren die größte der Enttäuschungen bereiteten und dann das Sicherheitsschloß den Dienst versagte. Wir steckten unsere Kapitalien also in den Ofen, aus welchem Carpio aber nach einigem Überlegen seine Einlage wieder herausnahm, um sie in seinem Bette zu verbergen. Er meinte, es sei nicht vorteilhaft, beide Beträge an einem und demselben Orte aufzubewahren, wo dann, falls ein Einbrecher käme, alles verloren sei; man müsse sie vielmehr trennen, damit der Spitzbube nur den einen Teil bekomme, der andere aber gerettet werde. Ich fügte mich seiner überlegenen Weisheit, legte mich nieder und schlief bald ein, wurde aber bald wieder durch ein Geräusch erweckt. Es wurde von Carpio verursacht, welcher mir auf mein Befragen mitteilte, daß er vorhin beim Scheine unserer Zündhölzer ein Stück Ziegelstein hinter dem Ofen habe liegen sehen. Dieses hatte er hervorgeholt und in sein Taschentuch geknotet, wodurch ein höchst brauchbarer Totschläger entstanden war, mit welchem er jedem hoffentlichen Einbrecher den Kopf behämmern wollte. Tief getröstet und beruhigt durch diese uns sichernde Maßregel meines Busenfreundes schlief ich wieder ein und wachte nicht eher wieder auf, als bis Carpio mich an den Armen emporriß und mir im höchsten Zorne die Entdeckung zuschrie:
    „Höre, mein Geld ist weg, mein ganzes, ganzes Geld mitsamt dem Portemonnaie! Der Totschläger ist unnütz gewesen; es ist doch so ein Halunke hereingekommen und hat in den Ofen gegriffen! Aber warum er nur mein Geld genommen und das deine liegen gelassen hat, das wird mir ein ewiges Rätsel bleiben! Ich laufe hinab, sofort! Der Wirt muß alles, alles ersetzen!“
    „Warte noch! Dein Geld hat im Ofen gelegen?“
    „Natürlich!“
    „Du hast es selbst wieder herausgenommen und in dein Bett versteckt. Suche nach!“
    Er suchte und fand es, holte erleichtert und tief Atem und sagte:
    „Das ist ein Glück für den Wirt! Ich hätte weder geruht noch gerastet und ihn nötigenfalls bis zur Auspfändung getrieben. Weißt du, was der Kaffee kosten wird?“
    „Zehn Kreuzer ohne Brot.“
    „Und das Brot?“
    „Zehn Kreuzer ohne Kaffee.“
    „So bestellst du Kaffee für dich, und ich laß mir Brot für mich geben; dann teilen wir und zahlen bloß zwanzig Kreuzer. Was wir hier sparen, können wir dem Mittagessen zulegen. Bist du einverstanden?“
    „Ja. Nobel ist das zwar nicht, aber wir machen dann schnell, daß wir fortkommen und nicht lange bekrittelt werden.“
    „Bekrittelt? Willst du dich nicht für akademisch gebildete Kapitalisten eines bessern Ausdruckes bedienen? Diese Böhmen werden alles, was wir tun, für vornehm halten, wenn sie es auch nicht begreifen können.“
    Wir frühstückten also für zwanzig Kreuzer, ließen uns für vornehm halten und reisten dann ab. Unser heutiges Ziel war Falkenau, wo wir gegen Abend lebendig ankamen, obgleich mein Freund das Unglück gehabt hatte, seinen Eissporn zu verlieren; wie das zugegangen war, das wußte er selber nicht und ich noch viel weniger. Er war nicht nur schmerzlich bewegt, sondern sogar tief betrübt über diesen ebenso schweren wie unersetzlichen Verlust, und ich gab mir ihm zuliebe den Anschein, als ob der Eisenstachel auch meinem Herzen teuer gewesen sei. Wir blickten ihm voll Trauer in die Vergangenheit nach und wendeten uns dann mit männlicher Resignation einer einfachen Herberge zu, deren Aussehen mit unserm heutigen Budget zu harmonieren versprach.
    Eben wollten wir eintreten, da kam ein Gendarm heraus, der sich darüber zu wundern schien, daß wir da hinein wollten. Er grüßte höflich und
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