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0511 - Der Fluch der Baba Yaga

0511 - Der Fluch der Baba Yaga

Titel: 0511 - Der Fluch der Baba Yaga
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Bannzauber unterbrochen worden war.
    Er dachte lieber an die Vergangenheit. An das, was er erlebt hatte in diesem Land, an dessen Grenzen er gebunden war. In dem Land, das er aus eigener Kraft nicht verlassen konnte; und wer würde ihm schon beim Überschreiten der Grenzen helfen?
    Niemand hatte es bisher gekonnt. All jene, die er mit sich auf die Wanderschaft genommen hatte, hatten es nicht geschafft, ihm den Weg zu öffnen.
    Manchmal erfaßte ihn darüber eine große Trauer. Aber sie währte nie lange. Denn größer als die Trauer war für ihn immer wieder die Gewißheit, länger leben zu dürfen als jedes andere Wesen. Der Tod konnte nie sterben! Und er lachte und summte wieder sein Lied. Er dachte an Verdun. Dorthin war er jetzt unterwegs. Dort hatte er einst die Menschen geerntet. Zu Hunderten, zu Tausenden waren sie gestorben, wenn er lachend über das Schlachtfeld gegangen war und den einen oder den anderen ausgewählt hatte. Er hatte sie fallen sehen wie die Halme unter der Sense. Er hatte über ihre Angst gelacht, über ihre Verzweiflung. Über ihre Dummheit, mit der sie am Leben hingen, an dieser doch so kurzen, vorübergehenden Existenzphase. Warum klammerten sie sich so an dieses irdische Leben? Sie konnten das, wovon sie träumten, doch nie erreichen. Sie lebten nur für ein paar Jahrzehnte, und danach waren sie eine Ewigkeit lang tot - das war doch ein viel dauerhafterer, erstrebenswerterer Zustand! Aber sie verstanden es nicht. Sie wollten nie sterben.
    Was kümmerte es ihn?
    Er wußte nicht genau, wieviel Zeit vergangen war, seit er das Schlachtfeld von Verdun verlassen hatte. Eines von vielen Schlachtfeldern, aber jenes, das die Menschen selbst das Furchtbarste nannten in dem ersten großen Krieg, der die ganze Welt in Brand gesetzt hatte.
    »Ich brauche einen Führer, um diesen Ort wiederzufinden«, sagte der Lachende Tod.
    Und er sah einen alten Mann auf der Straße, deutete mit dem Zeigefinger auf dessen Stirn und bedeutete ihm, dem Lachenden Tod zu folgen.
    Der alte Mann erschrak.
    »Zeige mir Verduns Schlachtfelder«, verlangte der Lachende Tod. »Ich will mich erinnern!«
    Der alte Mann starb und begleitete den Lachenden Tod…
    ***
    Wladij Iwanowitsch Smirkoff kam vom Markt. Viel hatte er heute nicht eingenommen; die Menschen kauften immer weniger, weil sie immer weniger Geld hatten, und wenn sie kauften, feilschten sie den Preis soweit herunter, daß Wladij kaum noch davon leben konnte. Aber die anderen wollten auch leben, und er verstand sie nur zu gut.
    Der Wert des Geldes verfiel schneller, als man zuschauen konnte. Eine Flasche »Wässerchen« kostete heute schon zehnmal soviel wie vor zwei Jahren, und trotzdem war nicht zehnmal soviel Wodka darin. Wladij war ein einfaches Gemüt; er begriff die Zusammenhänge nicht, wollte sie vielleicht auch nicht begreifen. Plötzlich trat er auf die Bremse seines betagten Shiguli, weil er etwas sah, was es eigentlich nicht geben durfte. Er war noch gut dreihundert Meter von seinem kleinen Häuschen am Dorfrand entfernt, da sah er die Hexe auf ihrem Ofen heranreiten, und sie ritt sein Häuschen einfach nieder. Wladij schrie entsetzt auf, als die Wände zerbrachen und seine Ivana, die er vor dreißig Jahren geheiratet und die ihm drei Söhne und zwei Töchter geschenkt hatte, aus den Trümmern zu flüchten versuchte und von den Hühnerbeinen des Ofens totgetrampelt wurde. Sie schrie nicht einmal. Aber Wladij brüllte um so lauter, denn das war kein Alptraum, aus dem er erwachen würde, und der Ofen galoppierte auf ihn zu. Schrill kicherte die Großmutter aller Hexen, die auf dem Ofen ritt wie auf einem Schlachtroß, und da war sie schon über ihm, der Shiguli zerbarst unter den wilden Trampeltritten, und Wladij hauchte sein Leben aus, als er erkannte, mit wem er es da zu tun hatte.
    Eine Spur des Todes und der Verwüstung blieb zurück, und in der Ferne holperte als Nachhut das wandernde Haus der alten Hexe heran, um das zu verstampfen, was der Ofen übriggelassen hatte…
    ***
    Die Kutsche rasselte über das Land. Die Hufe der Pferde hinterließen ebensowenig Spuren wie die hölzernen Speichenräder der Kutsche. Die Pferde machten einen seltsam unwirklichen Eindruck. Es schien, als gehörten sie nicht in die Welt der Menschen. Auf dem Bock der mattschwarz lackierten Kutsche saß eine Gestalt, die in eine ebenfalls schwarze Kutte gehüllt war, die Kapuze so über den Kopf gezogen, daß von diesem nichts zu sehen war. Ein unnatürlicher Schatten verbarg
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