Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
043 - Der Mann von Marokko

043 - Der Mann von Marokko

Titel: 043 - Der Mann von Marokko
Autoren: Edgar Wallace
Vom Netzwerk:
besitze keine Zurückhaltung und habe nicht den geringsten Stolz, Toby, und ich würde zwei Pfund Sterling dafür geben -das ist meine ganze Barschaft -, um einmal mit ihm persönlich zu sprechen. Und dann wäre ich natürlich enttäuscht.«
    In kurzem Galopp legte sie den Rest des Weges zurück und bog durch das verfallene Tor ein. Wo die Hauptstraße den Park ihres Vaters berührte, stand ein einfaches Fachwerkhaus, und dorthin ritt sie. Eine Frau winkte ihr aus dem Garten zu, als sie vorbeikam. Sie war etwas über vierzig Jahre alt, sah aber noch sehr gut aus.
    »Guten Morgen, Lady Joan! Ich bin gestern abend hier angekommen, und Sie haben alles so schön für mich vorbereitet. Es war sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie sich meinetwegen so viel Mühe gegeben haben.«
    »Ach, das macht nichts.« Joan war schnell abgestiegen. »Wie geht es denn Ihrem Patienten, Mrs. Cornford?«
    Die Frau lächelte.
    »Ich weiß es nicht. Er kommt erst heute abend an. Hoffentlich haben Sie nichts dagegen, daß sich noch jemand bei mir aufhält?«
    »Ach nein. Wollen Sie eigentlich nicht für immer hier wohnen? Mein Vater würde Ihnen gern die Erlaubnis dazu geben. Wer ist denn der Herr?«
    »Ein junger Mann, für den ich mich interessiere. Ich muß Ihnen aber sagen, daß er leider ein periodischer Trinker ist. Ich habe versucht, ihn zu heilen, und ich hoffe sogar, daß er keine Rückfälle mehr bekommen wird. Er stammt aus einer vornehmen Familie. Es ist wirklich tragisch, daß so viele junge, blühende Menschen durch Trunk zugrunde gehen. Ich arbeite bei der Trinkerhilfe, wenn ich Zeit habe, und ich erlebe dabei viel Trauriges.«
    »Darf ich einen Augenblick eintreten?« fragte Joan. »Eigentlich erwartet man mich in Creith - wenigstens unser Besuch erwartet mich. Mein Vater denkt wohl weniger daran. Er hofft nur immer, daß ein Wunder passiert und ihm eine Million in den Schoß fällt, ohne daß er sich anstrengen muß. Und denken Sie, dieses Wunder hat sich nun tatsächlich zum Teil erfüllt!«
    Mrs. Cornford blickte erstaunt auf.
    »Wir sind nicht reich«, fuhr Joan fort. »Wir gehören zum verarmten Landadel. Der Herrensitz, die Güter und unser Londoner Stadthaus sind - oder waren wenigstens bis zur vorigen Woche - mit Hypotheken überlastet. Wir sind die ärmste Familie in der Gegend.«
    Mrs. Cornford war über Joans offenes Bekenntnis verwundert.
    »Das tut mir leid«, sagte sie. »Es muß schrecklich für Sie sein.«
    »Ach, ich mache mir nicht viel daraus. Hier sind alle Leute arm, mit Ausnahme dieses geheimnisvollen Mr. Morlake, den man allgemein für einen Millionär hält. Aber er steht wahrscheinlich nur deshalb in dem Ruf, weil er nicht mit anderen Leuten über seine Schulden und Hypotheken spricht.«
    Mrs. Cornford schwieg und sah nur traurig auf das schöne Gesicht Joans. Sie kannte sie nun seit einem Jahr; eine Zeitungsannonce, in der sie um Näharbeit bat, hatte Joan in die kleine, enge Vorstadtwohnung geführt, wo sich die Frau mit ihrem Töchterchen durch ihre geschickte und flinke Arbeit ernährte.
    »Die Armen haben es nicht leicht«, meinte sie nach einer Pause. Joan schaute auf.
    »Sie sind früher auch bemittelt gewesen. Ich wußte es. An einem der nächsten Tage müssen Sie mir einmal Ihre Geschichte erzählen - aber nein, ich will Sie damit nicht quälen. Kennen Sie eigentlich Mr. Morlake?« Mrs. Cornford lächelte.
    »Er scheint hier in der Gegend eine Art Sehenswürdigkeit zu sein. Ich würde ja kaum etwas von ihm wissen, aber die Phantasie der Leute hier beschäftigt sich sehr mit ihm. Das Mädchen aus dem Dorf, das Sie freundlicherweise geschickt haben, um das Häuschen in Ordnung zu halten, hat mir schon viel von ihm erzählt. Ist er ein Freund von Ihnen?«
    »Er ist mit niemandem befreundet. Im Gegenteil, er ist so ablehnend und abweisend, daß er reich sein muß. Ich dachte früher einmal daran, daß er mein Freund sein könnte.« Bei diesen Worten seufzte sie.
    »Ich weiß nicht, ob Sie im Ernst sprechen und ob Sie wirklich so traurig sind«, erwiderte Mrs. Cornford lächelnd.
    Joans Züge wurden undurchsichtig.
    »Sie glauben wohl nicht, daß auch ich eine traurige Geschichte haben könnte? Ich bin schon recht alt -beinahe dreiundzwanzig.«
    »Sie sehen aber viel jünger aus!«
    »Vielleicht habe auch ich ein schreckliches Geheimnis.«
    »Das kann ich doch kaum annehmen.«
    Joan seufzte wieder.
    »Ich werde jetzt zu meinen Sorgen und Lasten zurückkehren.« Mit diesen Worten verabschiedete sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher