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040 - Die Faust Gottes

040 - Die Faust Gottes

Titel: 040 - Die Faust Gottes
Autoren: Jo Zybell
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aus schwärzlicher Bronze. Pain verneigte sich vor beiden und schlug zwei Kreuze.
    »Die Leute mögen noch einen Moment warten, Schwester Therese.« Wie er es liebte, ihren Namen auszusprechen. Er löste den Strick an seiner Hüfte, mit der die Decke zusammengebunden war, in der er zu schlafen pflegte. Sie rutschte ihm von den Schultern. Klapperdürr, nur mit einem Lendenschutz bekleidet bückte sich seine ausgezehrte Gestalt über einen Stoffhaufen in einer Holzkiste. »Gehen Sie ruhig schon nach oben…«
    Vor dem Verschlag hörte er ihre Schritte auf der Treppe. Sie hustete.
    Er kramte ein loses Gestell aus Spangen, Lederriemen, Schnallen, Stangen und gebogenen Platten aus dem Stoffhaufen in der Kiste. Mit flinken Fingern befestigte er es an seinem Körper - an Fuß- und Kniegelenken die Schnallen und Riemen, an Unter- und Oberschenkeln, die mit Leder gepolsterten Stangen, die gewölbten Platten und Schnallen an Hüftgelenken und Wirbelsäule bis hinauf in den Nacken.
    Reverend Pain lebte, weil er kämpfte. Am gleichen Tag, da er aufhörte, den Ausgeburten und Kriegsscharen der Hölle nachzujagen, würde er sterben. Ohne Stützkorsett aber konnte er nicht mehr kämpfen.
    »Ich komme, Schwester Therese, ich komme…«
    Er zog seine Kleider an, stieg in seine rissigen, abgeschabten Motorradstiefel, schnallte sich den Gurt mit den kleinen spitzen Holzkeilen um Brust, Rücken und Schulter, hing sich das Kruzifix vor die Brust, schlüpfte in seinen uralten Ledermantel und warf sich den Rucksack mit Hammer, Messer, Knoblauch, Weihwasser und dergleichen über die Schultern. Zum Schluss fuhr er sich mit den Fingern durch Bart und Haar.
    Er zündete eine Öllampe an und blies die Kerzen auf den Leuchtern rechts und links seiner Gebetsecke aus. Der kleine Holzverschlag knarrte, als der Reverend ihn öffnete.
    Über eine breite Stiege kletterte er nach oben. Durch die offene Bodenklappe fiel Tageslicht in den Treppenaufgang. Thereses Stimme rückte näher. Das Schluchzen und Jammern fremder Stimmen wurde lauter.
    Seit etwa zwei Jahren lebte Reverend Pain in der Grabkammer unter den Trümmern einer Kirche im ehemaligen Westend. Nur der Chorraum der Kirche war teilweise erhalten. Darunter ruhten die Gebeine irgendeines Herzogs aus dem sechzehnten, eines Bischofs aus dem vierzehnten und eines Prinzen aus dem zwölften Jahrhundert. Und seit knapp zwei Jahren eben die Knochen eines einfachen Priesters aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert, eines Mitglieds des Ordens der Reverends: Pains alte Knochen, wenn er sich auf seinen Benzinfässern und -kanistern zum Schlafen ausstreckte.
    »Ich komme, Schwester Therese!«
    Ihre Hand streckte sich ihm entgegen. Warm war sie, und fest griff sie zu. Sie zog ihn aus dem Schacht hinauf in den ehemaligen Chorraum der zerstörten Kathedrale.
    Gemeinsam hatten sie vor zwei Jahren die Trümmer mit bloßen Händen weggeräumt und einen
    Weg in den leidlich erhaltenen Teil der Kirchenruine gebahnt, in den Chorraum.
    Pains Traum war es, an dieser Stelle ein Gotteshaus zu errichten, in dem er dem Lumpenpack der Ruinenstadt das Wort des HERRN predigen und die Sakramente der Heiligen Römischen Kirche erteilen konnte. Allen, den verstockten Lords, den Wilden in den Erdlöchern und Wäldern und denen in den Bunkern.
    Therese selbst wohnte im merkwürdigerweise ebenfalls erhaltenen Kirchturm. Und zwar ziemlich weit oben, auf der Ebene unterhalb des ehemaligen Glockenturms. Sie hasste es, unter der Erde
    zu leben. Das hatte sie neunzehn Jahre lang getan. Neunzehn Jahre zu lange.
    Pain blinzelte in trübes Tageslicht. Durch eine glaslose Fensterrosette und das große Loch im Gewölbedach über dem Chorraum drang es in das Halbdunkel hinunter. Therese ließ seinen Arm los.
    Ein Mann und eine Frau hockten in den Trümmern des Hochaltars. Sie weinten. Der Mann hielt den leblosen Körper eines Halbwüchsigen auf seinen Schenkeln fest.
    Pain trat festen Schrittes vor sie hin. »Was ist passiert?«
    Das Paar war in Lumpen und Plastikfolie gehüllt. Ihre Gesichter, Haare und Hände starrten vor Dreck. Die Leiche in den Armen des Mannes war nackt und nicht minder schmutzig. Nur mischten sich Blutspuren in die Dreckkruste. Pain sah sofort, dass der Junge tot war.
    »Seht ihn Euch an, Reverend!« Der Mann jammerte und heulte. »Mein Sohn! Mein einziger Sohn! Seht ihn Euch an!« Er stand auf und hielt ihm den Toten hin. Die Mutter des Jungen raufte sich die Haare und schrie laut.
    Das Paar und sein toter Sohn
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