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04 - Herzenspoker

04 - Herzenspoker

Titel: 04 - Herzenspoker
Autoren: Marion Chesney
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Gewehren angetan war. Peter wurde so erzogen, dass er später
einmal, wenn er einundzwanzig war, die Zügel der Geschäfte in die Hand nehmen
konnte. Esther verachtete alle Soldaten, in ihren Augen waren sie ungehobelte
junge Männer, eine Meinung, mit der. sie nicht allein stand. Die Briten hatten
ihre Armee schon immer verabscheut, und es hatte den Anschein, als würden sie
das auch in Zukunft tun. Eine Anzahl von Schenken hatte draußen Schilder
aufgestellt, auf denen zu lesen war: »Keine Rotröcke«.
    Wie
gewöhnlich leitete sie die Gebetsstunde, verzehrte ihr schlichtes, aber
herzhaftes Frühstück, las den Zwillingen ein Kapitel aus der Bibel vor und
machte sich dann bereit, sie mit nach oben in ihr »Klassenzimmer« zu nehmen, um
sie zu unterrichten.
    Da
merkte Peter, dass es aufgehört hatte zu schneien und der Platz draußen von
blassem Sonnenlicht überflutet war.
    »Bitte,
geh mit uns hinaus, Esther«, bettelte er. »Wir sind immer nur drinnen. Es ist
so stickig.«
    »Nein,
es ist sehr kalt«, sagte Esther. »Du wirst dir ein Fieber holen.«
    »Wenn
wir keine frische Luft bekommen«, meinte die kleine Amy altklug, »könnte es
sein, dass wir beide schwindsüchtig werden. Peter ist schon ganz weiß.«
    Esther biss
sich verärgert auf die Unterlippe. Amy senkte den roten Kopf und musterte sanft
wie ein Lamm ihre Hände. Sie lernte allmählich, wie sie mit der älteren
Schwester umgehen musste, um diese nachgiebig zu stimmen.
    Peter
sieht tatsächlich weiß aus, dachte Esther mit heftigen Gewissensbissen. Unter
seinen Augen waren blaue Schatten. »Also gut«, sagte sie widerstrebend. »Sagt
John, dass er uns begleiten soll.« John war der erste Lakai.
    Die
Kinder sprangen nach oben, um sich anzuziehen. »Schrubb dir lieber die weiße
Farbe vom Gesicht, Peter«, sagte Amy. »Wenn du sie drauf lässt, merkt sie es,
wenn wir ans Tageslicht kommen.«
    »Richtig!«
sagte Peter, wusch sein Gesicht und hinterließ weiße Flecken im Handtuch, »Gute
Idee, Amy.«
    Als sie
durch den Hyde Park und in die Kensington-Gärten gingen, musste sich
Esther eingestehen, dass sie froh war, sich entschlossen zu haben,
spazierenzugehen. Der Schnee schmolz schnell, die Sonne war warm, und ein
Gefühl der Erwartung lag in der Luft. Sie empfand ihr Haar, das unter einen
geradezu abstoßend hässlichen Hut, der große Ähnlichkeit mit einer
Kohlenschaufel hatte, gestopft war, als schwer und lästig. Zwei junge Damen und
ihre Mutter fuhren in einer Kutsche an ihnen vorbei. Die Mädchen trugen kleine
Strohhüte. Die Haare darunter waren nach der neuesten Mode kurzgeschnitten.
    Wie
vernünftig, dachte die alte Esther sehnsüchtig. Unsinn, sagte sich die neue
strenge Esther. Man braucht doch nur zu sehen, wie jedermann sie anstarrt. Ich
habe wahrhaftig schon genug vulgäre Schaulust in meinem Leben erlebt.
    Sie
ließ sich auf einer eisernen Bank nieder, legte ihren Rock in ordentliche
Falten um sich herum und zog ein Buch aus ihrem Ridikül hervor, einem riesigen
altmodischen Brokatbeutel, der aus übriggebliebenem Polsterstoff genäht war,
weil Esther der Meinung war, dass man sparsam sein musste, auch wenn man noch
so reich war, Es war gut für das Seelenheil, sich zu kasteien.
    »Jetzt
lese ich euch etwas vor«, sagte Esther. Peter ließ so etwas ,wie ein Stöhnen
hören. Esther warf einen durchdringenden Blick auf ihn, aber er lächelte sie so
herzlich an, dass seine Grübchen zu erkennen waren.
    Der
Lakai schlenderte ein paar Schritte weiter und blieb dann stehen, um die
Soldaten zu beobachten.
    Esther
räusperte sich und begann zu lesen. »Der Titel des Gedichts lautet Die Schule«, sagte sie. Peter setzte
sich auf und wandte ihr seine Aufmerksamkeit zu. Er wäre gern in die Schule
gegangen und hätte gern mit anderen jungen gespielt.

    »Es war
ein kleines Mädchen traut,
    doch
sprach es schnell und lachte laut,
    dass
die, die mit ihm spielen wollten,
    sich
immer ganz schnell wieder trollten.
    Es
hatte ein goldenes Kettelein
    und
viele Kleidchen hübsch und fein,
    doch
sah es immer schlampig aus –
    ihm
wehrte nicht das Elternhaus.
    Die
Mutter starb;
    zur
Schule musste das Mädchen gehn
    und
fleißig lernen und ruhig stehn.
    Das
fiel ihm schwer, und häufig, eh' es sich's versah,
    stand
es im Schellenmützchen da.«
    Peters Gedanken
begannen abzuschweifen. Er drehte sich um. Hinter der Bank, auf der sie saßen,
stand ein kleines Dienstmädchen und hörte zu, was Esther vorlas.

    »Wenn
falsche Nachsicht den Sinn
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