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0399 - Totentanz im Urnengrab

0399 - Totentanz im Urnengrab

Titel: 0399 - Totentanz im Urnengrab
Autoren: Jason Dark
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nicht das gesamte Viertel absuchen, verstehst du?«
    Der Junge nickte. Seine Lippen zuckten, er hatte die Stirn gekraust und stand plötzlich auf.
    »Wo willst du hin?«
    »Nach Hause.«
    Ramon Sainho schüttelte den Kopf. »Nein, Manuel, du kannst bei mir übernachten. Am anderen Morgen werden wir noch einmal dar über reden.«
    »Wirklich?«
    »Ich verspreche es dir.« Auch der Geistliche erhob sich und freute sich über das erleichterte Lächeln auf dem Gesicht seines zehnjährigen Schützlings.
    Gerade den Kindern in diesem Elendsviertel galt seine besondere Aufmerksamkeit. Sie waren in einer Gesellschaft wie dieser stets die Verlierer, denn für sie gab es keine Zukunft. Höchstens eine, die den Namen nicht verdiente. Und alle Vorzeichen wiesen darauf hin, daß sich so leicht nichts daran ändern würde.
    Der Pfarrer brachte Manuel in den Nebenraum, wo er vier Gästebetten aufgestellt hatte. Einfache Liegen, transportabel und auseinanderklappbar. Keines der Betten war belegt. Manuel konnte sich eines aussuchen. Er schaute nicht allein auf die Betten, sein Blick glitt auch über die Wände, wo an jeder der vier ein Kreuz hing. Er blickte den Pfarrer an. »Darf ich eines nehmen?«
    Ramon Sainho lächelte mild. »Wenn du es möchtest.«
    »Gern.«
    Der Pfarrer selbst nahm es ab und drückte es dem inzwischen liegenden Jungen in die Hand. Unter der Zimmerdecke brannte noch das Licht. Zahlreiche Käfer krochen aus dem Schein weg und verschwanden in den dunklen Spalten und Ritzen.
    »Glauben Sie an die lebenden Leichen?«
    Ramon Sainho nahm auf der Bettkante Platz. Das Kreuz lag auf der Brust des Jungen, seine Hände darauf. »Ich glaube an das, was du festhältst. Es ist immer noch die größte Hoffnung im Leben eines Menschen.«
    Der Junge lächelte. »Ich will es auch.«
    »Dann bete, bevor du einschläfst.« Der Pfarrer strich über Manuels Gesicht. »Gute Nacht.«
    »Bis morgen, Padre…«
    An der Tür drehte sich Ramon Sainho noch einmal um. Er sah, bevor er das Licht löschte, noch einmal auf den Jungen und erkannte, daß sich dessen Lippen bewegten.
    Manuel betete…
    Der Pfarrer ging. Mit kaum einer Regung hatte er sich anmerken lassen, wie sehr er durch die Erzählungen des Zehnjährigen aufgerüttelt worden war. Voodoo, Zombies, der Padre hatte darüber früher nur gelacht. Heute dachte er anders darüber. Er hatte sich mit der Mystik des Landes beschäftigen müssen und dabei erfahren, daß vieles von dem, an das die Menschen glaubten, seine Wurzeln tief im Aberglauben besaß. Europäer lächelten darüber, in Brasilien jedoch nahm man diese Dinge sehr ernst. Auch der Padre.
    Und er dachte an eine Sache, die zwar schon einige Zeit zurücklag, die aber hohe Wellen geschlagen hatte. Damals war es um ein Krakenmonster namens Krol gegangen, das sich ausgerechnet die Viertel von Rio als Heimat ausgesucht hatte. Der Padre war zwar nicht selbst dabeigewesen, aber er hatte sich von Zeugen berichten lassen, was damals vorgefallen und wie die Straße aufgebrochen war. [1]
    Fremde Menschen hatten sich dem Monstrum gestellt und es wohl auch vernichten oder zurückschlagen können. Männer, die nicht aus Brasilien stammten, dafür aus Europa. England.
    Aus der Tasche holte der Padre ein Etui. In ihm befanden sich seine Zigarillos. Sie waren so stark, daß ihr Rauch sogar die Mücken vertrieb, die sich die Menschen als Opfer ausgesucht hatten. Der Padre rauchte und blies den Qualm in die Finsternis.
    Er stand vor dem Haus. Die Nacht war lau und voller Geräusche.
    Auch das Licht der Gestirne reichte nicht aus, um die Schatten der Nacht zu vertreiben.
    Man konnte sich einsam fühlen, und der Padre, der sonst von seinem Optimismus nicht verlassen wurde, hatte mittlerweile das Gefühl, vor einer Mauer zu stehen und nicht mehr weiter zu können.
    Die Berichte des Jungen waren echt gewesen. Er kannte Manuel. Der Kleine war kein Spinner. Was er gesehen hatte, das hatte er gesehen.
    Aber lebende Leichen?
    Padre Ramon Sainho war völlig verunsichert. Er hätte sich gewünscht, die lebenden Toten zu Gesicht zu bekommen, aber das trat nicht ein. Sie hielten sich zurück, falls es sie überhaupt gab.
    Der Geistliche dachte über die Chancen nach. Sie standen 50:50, daß an den Erzählungen des Jungen etwas daran war. Zwar durfte man offiziell nicht an den Totenzauber glauben, aber die Dinge lagen manchmal doch ganz anders, als sie gelehrt wurden. Und deshalb entschloß sich der Pfarrer auch, etwas zu tun. Zumindest wollte er sich
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