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037 - Die seltsame Gräfin

037 - Die seltsame Gräfin

Titel: 037 - Die seltsame Gräfin
Autoren: Edgar Wallace
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sie.
    »Horch mal auf den alten Mackenzie!«
    Von unten tönten die weichen Töne einer Geige herauf. Leise stieg und fiel die Melodie, und Lois erschienen diese Klänge süß und beruhigend.
    »Er war früher Dirigent«, sagte Lizzy. »Ich wünschte, er würde seine Mondscheinsonaten für sich behalten, bis ich aus dem Hause bin.«
    »Mir gefällt es sehr gut.« Die traurige Melodie ging Lois zu Herzen und stimmte so ganz zu ihrem eigenen Kummer.
    »Ich werde verrückt«, brummte Lizzy, als sie ihre Strümpfe wegschleuderte und ihre Zehen betrachtete. »Wenn du schon ausgezogen bist, gehe ich hinunter und frage, ob er nicht endlich seinen mitternächtlichen Unsinn aufgibt.«
    »Er hat so wenig Freude im Leben, laß ihn doch«, protestierte Lois.
    »Warum geht er denn nicht aus und verschafft sich welche? Aber der alte Trottel verläßt ja seine Bude überhaupt nicht. Er hat viel Geld - außerdem gehört ihm doch dieses Haus.«
    Lois lauschte. Der alte Mackenzie spielte das Intermezzo aus ›Cavalleria Rusticana‹. Sooft sie diese Melodie auch gehört hatte, war es ihr doch, als drückte sie jetzt allen Schmerz, alle Furcht und alle Empörung ihrer eigenen Seele aus.
    »Musik ist ja sehr schön, wenn sie am Platze ist«, sagte Lizzy wieder. »Wenn er wenigstens noch den neuesten Schlager spielen würde - ich habe vor ein paar Tagen die Noten dazu billig gekauft und ihm geschenkt, aber er hat sie noch nicht einmal gespielt.«
    Die Musik verstummte, und auch Lizzy war gleich darauf ruhig. Lois drehte sich zur Seite und fiel in einen unruhigen Schlaf. Im Traum war sie wieder im Gefängnis von Telsbury und ging selbst unter all diesen graugekleideten Frauen in dem trostlosen Kreis herum. An der Seite des Direktors stand jemand und beobachtete sie. Es war eine stattliche Frau mit breitem Gesicht und großer Nase. Ihre harten, schwarzen Augen lächelten verächtlich, als sie vorüberschritt. Und mitten im Kreis stand der alte Mackenzie und fiedelte mit seiner Geige unter dem Kinn den letzten Schlager, den Lizzy immer pfiff.
    Plötzlich fuhr sie erschrocken in die Höhe.
    Ein Lichtschein war über ihr Gesicht gegangen - es mußte jemand im Zimmer sein. Sie hörte leise Bewegungen und dann ein Papierrascheln. Es war Lizzy - natürlich. Sie kam ja häufig mitten in der Nacht in ihr Zimmer, wenn sie der Husten quälte, um sich die Pastillen zu holen, die Lois in der Schublade ihres Toilettentisches verwahrte. Ohne ein Wort zu verlieren, streckte sie ihre Hand aus und knipste die kleine Taschenlampe an, die vor ihrem Bett lag.
    Als sie den Knopf herunterdrückte, erinnerte sie sich dunkel daran, daß die Batterie nahezu ausgebrannt war. Nur ein dünner Strahl weißes Licht erhellte den Raum, verblaßte sofort wieder, wurde dunkelgelb und verschwand dann ganz. Aber in diesem Augenblick hatte sie die Gestalt eines Mannes gesehen, der an ihrem Toilettentisch stand. Sie erkannte Michael Dorn, der ihr ein betroffenes Gesicht zuwandte.

7
    Sekundenlang war sie vor Schrecken wie gelähmt, und erst als sie hörte, daß er quer durchs Zimmer ging, schrie sie auf.
    Lizzys Bett krachte, gleich darauf stand sie neben Lois.
    Lois war auch aus dem Bett gesprungen und drehte mit zitternden Fingern ihre Lampe an. Aber das Zimmer war leer.
    »Es war jemand hier - ein Mann«, sagte sie entsetzt.
    »Du hast geträumt«
    »Ich habe nicht geträumt - höre doch!«
    Die Tür wurde unten geschlossen. Lois eilte zum Fenster, zog die Jalousie hoch, lehnte sich hinaus und sah einen Mann schnell die Charlotte Street hinuntergehen.
    »Dort ist er! Erkennst du ihn nicht? Es ist Dorn!«
    Lizzy beugte sich aus dem Fenster, und als sie sich umwandte, sah Lois ihr erschrockenes Gesicht.
    »Ich möchte nicht bestreiten, daß er es war.« Lizzy war vorsichtig. »Glaubst du, daß Dorn hier im Zimmer -«
    Lois nickte. Dieser Schrecken, der zu all dem anderen kam, hatte sie völlig aus der Fassung gebracht.
    »War er hier? In diesem Raum?« Lizzy war noch nicht überzeugt, aber ein Blick auf das Gesicht der Freundin sagte ihr, daß Lois sich nicht geirrt haben konnte.
    Eilig lief sie in die Küche und holte ein Glas Wasser. Lois trank gierig.
    »Der ist aber frech wie der Teufel.« Lizzy setzte sich in einen Stuhl und schaute Lois bestürzt an. »Was wollte er denn?«
    »Ich weiß nicht - er stand vor dem Toilettentisch. Ich sah ihn nur einen kurzen Augenblick, dann ging diese dumme Lampe wieder aus.«
    »Der ist aber frech!« sagte Lizzy noch einmal. »Alles hat
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