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036 - Die Hand des Würgers

036 - Die Hand des Würgers

Titel: 036 - Die Hand des Würgers
Autoren: Maurice Limat
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daß er nicht mehr wußte, was er tun sollte; und dazu herrschte diese infernalische Finsternis.
    Er rutschte die Leiter mehr hinunter, als daß er sie hinabstieg, kam unverletzt unten an und erreichte die Tür. Dort knipste er wieder das Licht an und kehrte zum Heuboden zurück.
    Keines Gedankens fähig stand er vor Loulou und schaute auf sie hinunter. Loulou rührte sich nicht. Loulou würde sich auch niemals mehr rühren. Sie war noch in genau derselben Lage, wie Renaud sie vor wenigen Minuten verlassen hatte. Aber die halboffenen Augen sahen aus, als seien sie tiefer in die Höhlen gesunken, und der ein wenig geöffnete Mund schien noch einmal. Atem holen zu wollen, ja, verzweifelt nach Atem zu ringen.
    Loulou war erwürgt worden. An ihrem schönen, schlanken Hals waren genau die Abdrücke der Hand zu sehen, durch die sie den Tod gefunden hatte.
    Renaud begann zu weinen, er konnte nicht anders. Und dann rutschte er die Leiter wieder hinunter, rannte zur Scheune hinaus und lief wie ein Gehetzter in das Dorf, lief durch den strömenden Regen und das noch immer tobende Gewitter, um in seinem Schmerz und Entsetzen den Mann ohne Hand zu suchen, der Loulou getötet hatte.
    Der Arzt, der die Totenschau hielt, erklärte, das junge Mädchen sei erwürgt worden; erwürgt mit einer Hand.
    Mit einer rechten Hand. Mit einer solchen, die Pascal fehlte.
     

     

Das Wetter war wieder strahlend schön, und niemand hätte geglaubt, daß hier vor wenigen Tagen, in dieser friedlichen Umgebung mit den herrlichen Bäumen, den bunten Blumenbeeten in den Gärten und den samtgrünen Rasenflächen, ein entsetzliches Verbrechen verübt worden war.
    Corinne hat mir kurz nach meiner Rückkehr vom Krankenhaus die Pflege ihres Gartens anvertraut. Auch Monsieur Feras, dessen Besitz an den Corinnes stößt. Ihnen beiden verdanke ich es, daß ich mein Leben auch nach dem Unfall noch fristen kann. Wer würde schon behaupten wollen, es sei kein Unfall gewesen?
    Ich kann mir ziemlich gut helfen und werde allmählich mit meiner linken Hand ganz geschickt. Zum Glück habe ich schon als Kind immer gerne im Garten gearbeitet, gepflanzt, gejätet, mich um Blumen und Gemüse gekümmert.
    Im Sägewerk kann ich ja sowieso nicht mehr arbeiten. Man würde mich dort auch gar nicht mehr nehmen, selbst wenn ich es wollte.
    Corinne: Immer wieder muß ich ihren Namen aussprechen. Ich weiß, wenn ich ihn so vor mich hinsage, dann klingt das immer ein wenig verträumt. Manchmal lächelt sie mich sogar an. Oh, das ist sehr gut für mich! Ich finde es wundervoll.
    Auch Madame Vaison, ihre Schwiegermutter, ist sehr gut zu mir. Die beiden Damen kamen als Flüchtlinge aus dem Fernen Osten in unser Dorf. Corinnes Mann kam dort ums Leben. Sie haben ihr ganzes Vermögen verloren, und geblieben ist ihnen nur ein kleiner Familienbesitz, den sie aus dem großen Unglück, das sie betroffen hat, gerettet haben. Die beiden Damen leben sehr einfach und zurückgezogen. Sie widmen sich der Erinnerung eines Mannes – des Sohnes der einen, des Gatten der anderen.
    Corinne sieht ein wenig fernöstlich aus. In einem von Monsieur Feras’ Büchern habe ich einmal etwas Merkwürdiges gelesen. Leute, die lange Zeit unter Asiaten gelebt haben, passen sich in ihren Gesichtszügen und überhaupt in ihrem Äußeren ihrer Umgebung mehr oder weniger an. Das trifft in hohem Maß für Madame Vaison zu, viel mehr jedoch noch für Corinne. Obwohl beide blond sind und eine sehr weiße Haut haben, scheinen ihre Augen ziemlich schräg und sogar geschlitzt zu sein.
    Ob Corinne schön ist? Ich weiß es nicht. Ich verstehe ja nicht viel von Frauen. Ich weiß nur das eine, daß sich keine von den Frauen, die ich gesehen habe, wenn sie im Auto durch das Dorf fahren oder an der Tankstelle halten, um Benzin zu tanken, mit Corinne vergleichen kann.
    Ich arbeite praktisch den ganzen Tag bei ihr. Drei- oder viermal in der Woche leiht sie mich an ihren Nachbarn, Monsieur Feras, aus. Eigentlich verläuft mein Leben jetzt in ganz ordentlichen Bahnen. Ich bin ein Handlanger, der alles macht.
    Das heißt, ich mache alles, was sich mit einer Hand tun läßt. Mit der linken Hand.
    Denn die andere …
    Etwas beunruhigt mich sehr. Ich hatte geglaubt, wenn ich meine Hand auf diesen Sägetisch lege, wird meine ganze entsetzte Unruhe mit der Hand abgeschnitten. Ich kann mich nicht mehr gut an das erinnern, was danach geschehen ist. Gelitten habe ich nicht sehr. Ich glaube es wenigstens nicht. Nur sehr schwach habe ich
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