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0356 - Die Tarot-Hexe

0356 - Die Tarot-Hexe

Titel: 0356 - Die Tarot-Hexe
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Wenn Zamorra Raffael »zurückholen« wollte, mußte er sich schon etwas anderes einfallen lassen.
    »Lassen wir uns überraschen. Es gibt einen Weg, und wir werden ihn finden, wenn es soweit ist«, sagte Zamorra. »Immerhin wissen wir jetzt, daß Raffael sich im Château verbirgt. Dort gibt es genug Verstecke. Dort können wir ihn, besser vorbereitet, aufstöbern. Wenn wir ihn erst einmal haben, sehen wir weiter.«
    »Das ist mir alles ein wenig unsicher«, wandte Nicole ein. »Zu viele wenns stecken dahinter.«
    »Sicher. Aber hast du einen besseren Vorschlag?«
    »Vielleicht weiß Gryf einen Rat. Oder Teri«, sagte Nicole.
    Zamorra nickte. »Vielleicht. Wir werden sie fragen, wenn wir Raffael haben. Ich glaube kaum, daß sie aus der Theorie heraus irgend welche Tips geben können. Außerdem dürfte Gryf nach der Aktion im Mörderwald erst einmal Ruhe brauchen…«
    »Wir nicht?« fragte Nicole. »Ich sage dir was, geliebter Professor: Ich werde noch zwei oder drei Gläser dieses vorzüglichen Rotweins zu mir nehmen und mich dann in horizontaler Position ausbreiten, etwa eine Etage höher und weich abgefedert. Und dir empfehle ich, dasselbe zu tun. Die paar Tage Ruhe, die wir auf Teneriffa hatten, sind doch schon wieder für die Katz.«
    Zamorra lächelte. Er sah zu den drei Versicherungsangestellten hinüber, die miteinander diskutierten. Sein Lächeln verlosch wieder, als er an Raffael dachte. Der alte Diener hatte ihn angegriffen. Es sah so aus, als habe Raffael Zamorra töten wollen. Und wenn er wirklich so stark im Bann des Bösen stand, war der alte Mann gefährlich. Die Hölle verlieh ihm unglaubliche Kräfte und Fähigkeiten.
    Zamorra wußte, daß er in dieser Nacht nicht ruhig schlafen konnte.
    ***
    Ysabeau Derano, die blonde Zigeunerin, drehte immer wieder die Karten in den Händen hin und her. Immer wieder sah sie die Aussagen der beiden Tarotkarten vor sich. Der Tod überdeckte die Sonne.
    Sie brauchte die Pfade nicht zu deuten. Ihr innerer Drang sagte ihr, daß die Symbole direkt zu sehen waren. Das unterschied sie von anderen Wahrsagerinnen, die das Tarotspiel benutzten. Jene hielten sich an die Überlieferungen, die jeder Karte ihre Bedeutung zuschrieben und die Entsprechungen und Deutungen zeigten. Doch die Aussagen des Tarots waren meistens mehrdeutig. Man konnte sie in verschiedenen Auslegungen betrachten.
    Ysabeau kannte die Bedeutungen und die Symbolkraft sehr wohl, aber sie ging bei ihrem Kartenlegen nicht nur davon aus, was überliefert wurde, sondern sie lauschte gewissermaßen in sich hinein. Und das, was ihr das Innere verriet, hatte sie noch nie getäuscht. Sie sah und überlegte nicht, sie fühlte und empfand. Und so sah sie mehr und anderes, Weitergehenderes als andere. Sie war eine Hexe.
    Innerlich sträubte sie sich zwar ein wenig gegen diese Bezeichnungen, aber sie traf den Kern. Sie war mehr als andere Zigeunerinnen, die aus den Karten wahrsagten. Sie war mit den Karten verwachsen. Die Aussage bildete sich tief in ihr.
    Und sie sah nicht mehr das, was die »normale« Deutung verriet.
    Die Sonne, das Licht, die Kraft… das war Zamorra. Die 19. Karte auf dem 20. Pfad. Intelligenz, Stärke, Einswerden mit dem Universum.
    Der Tod… die dreizehnte Karte auf dem 14. Pfad, und näher dem Ziel als die Sonne. Fäulnis, Verrat, der Beginn der Erneuerung… zugeordnet dem Planeten Mars, der Gewalt und der Vernichtung. Wer war es, der mit Verrat und Tod Zamorra zu überdecken drohte?
    Ysabeau spürte, wie ihre Hände zitterten. Sie zwang sich wieder zur Ruhe. Unten im Lokal hörte sie Stimmen. War dieser Professor wieder zurückgekehrt? Sollte sie nach unten gehen, sich ihm offenbaren?
    Sie rang mit sich.
    Sie war dem Drang und ihren eigenen Karten gefolgt und hierher gereist.
    Jetzt wußte sie, daß es geschehen war, um hier die Karten dieses Professors zu schauen. Aber welchen Sinn sollte es haben, wenn sie ihm die Erkenntnis nicht offenbarte?
    Aber – konnte sie ihm das Negative sagen, das Bedrohliche? In der Wahrsagekunst war es verpönt, jemandem ein ungünstiges Schicksal zu weissagen, gar den Tod. Nur das Positive wurde erklärt, manchmal noch versucht, im Negativen das Positive zu sehen – oder man schwieg.
    Aber sie war doch keine normale Wahrsagerin. Sie war mehr. Ihre Kraft war die einer Hexe, sie kam von innen heraus, war nicht erlernt.
    Die Karten sollen es mir raten, was ich tun soll! entschloß sie sich und wiederholte die Prozedur, diesmal aber auf sich selbst konzentriert.
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