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0334 - Der Hexenspiegel

0334 - Der Hexenspiegel

Titel: 0334 - Der Hexenspiegel
Autoren: Werner Kurt Giesa
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was ihm da vorhin aufgefallen war. Aber er kam einfach nicht darauf. Dabei mußte es eine Kleinigkeit sein.
    ***
    Bis Malaja-Wyschera, dem Ort, in dem sich die Glasfabrik befand, waren es rund 50 Kilometer. Aber Nadija Perkowa hatte nicht vor zu warten, bis sie den Ort erreichten. Die Straße war um diese Tageszeit wenig befahren, aber die Hexenseele wollte ganz sicher gehen. Es durfte kein anderer Wagen vorbeikommen, dessen Insassen das Geschehen beobachteten.
    Der Fahrer ging vom Gas. »Etwas stimmt mit dem Motor nicht«, sagte er. »Der knattert so seltsam.«
    »Vielleicht der Auspuff«, vermutete Semjonow.
    »Der ist erneuert. Es muß der Motor sein. Da ist etwas nicht in Ordnung.«
    Deutlich war jetzt zu hören, wie die Ventile rasselten und die Kolben hämmerten. Nadijas Scheinkörper zeigte keine Unruhe. Es konnte ihr gleichgültig sein, wenn sie hier in der Einsamkeit mit einer Panne liegenblieben.
    Sie verstand ohnehin nicht so recht, wie diese pferdelosen geschlossenen Glas- und Metallkästen sich ohne Zuhilfenahme von Zauberei bewegten. Aber in den 80 Jahren, die sie gefangen im Spiegel zugebracht hatte, hatte sich einiges getan.
    »Der läuft nur noch auf drei Zylindern«, behauptete der Fahrer. »Das reicht nicht mehr. Ich halte an, bevor die auch noch den Geist aufgeben.«
    »Unfaßbar. Wie alt ist die. Maschine?« wollte Semjonow verärgert wissen.
    »Knapp 300 000 Kilometer…«
    »Für einen Achtzylindermotor ist das doch eine Kleinigkeit? Das ist diese verdammte Spiegelhexerei!« behauptete Semjonow. Der Scheinkörper seufzte leise. Diesmal war Nadija nun doch wirklich unschuldig.
    »Unsinn! Das sind diese Narren im Fuhrpark, die einen Wagen ständig fahren lassen, aber nicht daran denken, daß er auch mal gewartet werden muß!« schimpfte der Fahrer und schaltete den Motor ab. Es tat trotzdem noch einen harten Schlag.
    »Das war’s dann wohl. Telefonieren Sie, Genosse Kapitän.«
    »Sehen Sie irgendwo ein Telefon? Dieser Wagen hat keins… wir werden den Daumen raushalten müssen.«
    »In Ordnung«, sagte Semjonow unbehaglich. »Versuchen Sie einen Wagen zu stoppen und mitzufahren bis zum nächsten Haus mit Telefon. Es muß doch ein paar Dörfer in der Nähe geben. Ich bleibe hier und passe auf den Spiegel auf.«
    »Sind Sie sicher, Genosse Kapitän, daß das richtig ist?«
    »Ich bin absolut sicher«, knurrte Semjonow. »Nun stellen Sie sich schon da drüben hin und sehen Sie zu, daß Sie mitgenommen werden.«
    Dein Pech, dachte Nadija. Wenn ihr beide fahren würdet, würdest du vielleicht überleben dürfen, Semjonow. Vielleicht würde ich euch aber auch beide jetzt und hier töten. Vielleicht sollte ich das ohnehin tun…
    Sie beugte sich zu Semjonow vor, aber in diesem Moment näherte sich von hinten ein Wagen. Die Hexe sah ihn durch die Augen des Scheinkörpers und durch ihre Magie im Rückspiegel des defekten Tschaika. Der andere Wagen hielt tatsächlich an, und der KGB-Fahrer durfte einsteigen.
    Es dauerte ein, zwei Minuten, bis der Wagen sich endlich wieder in Bewegung setzte.
    Nadija wollte die Hand ausstrecken, um Semjonow mit einer blitzschnellen Bewegung zu töten, als er die Wagentür aufstieß und ausstieg.
    »Ich sehe mal nach dem vertrackten Ding«, sagte er.
    Der Scheinkörper verließ den Wagen ebenfalls. Nadija war wütend.
    Jedesmal kam etwas dazwischen! Sie wollte aber ohne Zeugen arbeiten.
    Jetzt, wo sich die nächste Gelegenheit bot, als Semjonow am Kofferraum herumfingerte, tauchte eine ganze Wagenkolonne aus der Gegenrichtung auf.
    Der Kofferraumdeckel schwang auf. Drinnen lag der gefährliche Hexenspiegel.
    »Sieht unverändert aus«, murmelte Semjonow. Er lächelte den Scheinkörper an. »Ich glaube, wir werden es schaffen. Daß in der Glasfabrik bereits Feierabend ist, kommt uns entgegen. Ich habe Anweisung gegeben, daß ein paar Männer dableiben, die uns helfen. Wir…«
    Er sah auf den Boden.
    Die Sonne stand nicht mehr hoch, und Nicole Duvals Schatten hätte schon recht lang sein müssen.
    War er aber nicht.
    Er war überhaupt nicht vorhanden.
    Da begriff Semjonow. Er sprang zurück, und der Scheinkörper setzte sofort nach. Die Autos waren fort, die Straße war frei. Der Scheinkörper packte zu und ermordete Igor Semjonow, dessen abwehrende Hände sich wohl in den Stoff der Kleidung krallen konnten, aber ansonsten durch den Scheinkörper hindurchgingen.
    Der Scheinkörper nahm den schweren Spiegel, als wiege er überhaupt nichts, und bewegte sich querfeldein davon,
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