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032

Titel: 032
Autoren: Die Seiltänzerin
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das andere schon jetzt angebracht war.
    Der Ausruf hatte überrascht, nicht ärgerlich geklungen, und niemand hatte sie grob angefasst. Und die andere Stimme und die Äußerungen hatten eindeutig mitfühlend geklungen. Die Männer, die sie gefunden hatten, kamen nicht aus der Burg. Die Erleichterung, die sich nach dieser Erkenntnis einstellte, verursachte ihr gleichzeitig ein Gefühl der Schwäche, so dass sie zunächst nichts äußern konnte. Was sie den Reiter jedoch dann sagen hörte, ließ darauf schließen, dass er und sein Begleiter sie mitnehmen wollten. Daher beschloss sie rasch, schlaff zu bleiben und die Augen geschlossen zu halten, weil sie befürchtete, dass die Männer, wenn sie fähig zu sein schien, laufen zu können, anderen Sinns werden und sie sich selbst überlassen würden.
    Sie spürte, dass jemand sacht die Arme unter sie schob, und kontrollierte bewusst die Atmung, damit sie nicht vor Schmerz stöhnte. In die Höhe gehoben zu werden erzeugte jedoch nicht die erwartete Pein, und die Feststellung, dass nichts gebrochen war, ließ Carys innerlich jubeln. Ünter dem Druck der Arme taten die Prellungen besonders weh, doch der Umstand, dass sie nicht durchgerüttelt wurde, ließ ihre Entschlossenheit, „ohnmächtig" zu bleiben, dahin-schwinden. Sie hatte angenommen, der Mann, der sie hochgehoben hatte, habe sich hingekniet und würde sich dann aufrichten, sie dabei in die Höhe reißen und unbewusst fester an sich drücken. Doch nichts dergleichen geschah. Die Art, wie sie angehoben und hochgestreckt wurde, veranlasste sie, die Augen weit aufzureißen.
    Vor Überraschung hielt sie den Atem an.
    „Ein Zwerg!" flüsterte sie dann. „Seid ihr Fahrensleute?"
    Ihr plötzliches Erwachen aus der Bewusstlosigkeit erzeugte beinahe eine Katastrophe. Telor war so erschrocken, dass er den Griff lockerte. Caiys begann zu rutschen, schlang ihm jedoch sogleich die Hände um den Nacken. Zurückzuckend zog Telor ihren Unterkörper hoch, so dass sie auf seinen Oberschenkeln zu sitzen kam. Dadurch bekam er zwar den Hals nicht frei und würgte, zum Teil deswegen, weil Carys ihn strangulierte, zum Teil des von ihr ausgehenden Gestankes wegen.

    Kein Reisender konnte stets sauber sein, doch Telor und Deri wuschen sich so oft und so gründlich wie möglich, und zwar in den Badestuben der Burgen oder in den öffentlichen Bädern größerer Städte. Beide waren hinsichtlich solcher Dinge wie Körperpflege viel strikter als Leute, die einen höheren Rang bekleideten. Telor war zur Reinlichkeit erzogen worden, weil sie Teil des Geschäftes eines Handwerkers war, damit man Kunden nicht durch dreckiges Aussehen und Gestank vertrieb. Sein Lehrmeister hatte noch größeren Wert auf diese Einstellung gelegt und ihm gesagt, dass er, ganz gleich, ob ein Baron schmutzig war, ungepflegtes Aussehen bei niemandem dulden werde, der seine Gäste unterhalten sollte.
    Das Gefühl der Sicherheit, das Carys hatte, als sie merkte, dass sie auf Telors Schoß gezogen wurde, bewog sie, den Griff um den Hals des Mannes zu lockern und auszurufen: „Es tut mir Leid. Ich hatte Angst zu fallen." Ihre Stimme war so dünn und hatte so atemlos und ängstlich geklungen, dass Telor dem Impuls widerstand, sie von sich zu stoßen.
    „Ich dachte, du seist halb tot." Er würgte und hustete fürchterlich.
    Sie hatte Deri erblickt und gesehen, dass er tatsächlich ein Zwerg war. Bei „ihresgleichen" fühlte sie sich fast sicher und begann eine lange Erklärung, was ihr widerfahren war. Eingedenk der Schrecken schluchzte sie und zitterte wieder. Sie hielt jedoch lange vor der Stelle inne, wo sie hätte erläutern müssen, warum sie in Gefahr geraten war, und flehte Telor an weiterzureiten, da die Möglichkeit bestand, dass die Burgleute sie verfolgten. In Erinnerung an das Licht und die Geräusche, die von dem Burghof, den sie vor kurzem passiert hatten, gedrungen waren, hielt er Carys' Befürchtungen für ziemlich begründet. Ungeachtet dessen, was Carys war und wie sie roch, war es ihm unmöglich, sie hilflos zurückzulassen, doch er glaubte nicht, es ertragen zu können, sie so nah vor sich sitzen zu haben.
    „Könntest du hinter mir reiten?" fragte er.
    „Oh, ja!" antwortete sie und seufzte erleichtert.
    Sobald die ursprüngliche Angst, wieder gefasst zu werden, geschwunden war, hatte Carys begriffen, dass ihre jetzige Situation eine Reihe von Nachteilen mit sich brachte. Ein zu großer Teil ihres schmerzenden Körpers kam entweder mit dem harten
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