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032

Titel: 032
Autoren: Die Seiltänzerin
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hatten, blindlings weiter.
    Vielleicht hatte die Liebe Frau sie gehört, oder es lag an ihrem ausgezeichneten Gleichgewichtssinn, dass es Carys gelang, den Hof zwischen dem Fenster und der äußeren Befestigungsmauer zu überqueren, ehe das Portal des Wohnturms aufgestoßen wurde und Licht herausfiel, das fast bis zu ihren Hacken reichte.
    Fackelträger stürmten ins Freie, doch alle rannten erst, in der Annahme, sie mit gebrochenen Gliedern und stöhnend auf der Erde liegend vorzufinden, zu der Stelle, wo sie gelandet war. Verbittert dachte sie daran, dass ihr Anblick sie nicht betroffen gemacht hätte.
    Dank der Fackeln konnte sie wenigstens sehen. Die Dachtraufe einer Scheune lag in ihre Reichweite. Geschickt schwang Carys sich hoch und war im Nu auf dem niedrigen Dach.
    Die Männer rannten noch immer herum und konnten nicht fassen, dass sie verschwunden war. Sie würden die Suche nach ihr indes bald in geordneterer Weise fortsetzen. Hinter ihr waren die Schanzpfähle des Wehrgangs. Wenn sie einen erreichen konnte, ohne bemerkt zu werden . . . Das schwankende Fackellicht schien jedoch näher zu kommen. Leise weinend, weil sie voller Schrecken erwartete, einen triumphierenden Schrei zu hören, der ihre Entdeckung bekundete, erhob sie sich und sprang. Einen Augenblick später saß sie im tiefsten Schatten auf einer Verstrebung gleich bei der Mauer. Das, was ihr, als sie sich noch auf dem gut einsehbaren Dach befunden hatte, wie ein sicherer Zufluchtsort erschienen war, kam ihr nun wie eine Falle vor.
    Der Wehrgang über ihr bebte, als die Wachen auf den Mauern die Schreie der unten im Hof befindlichen Männer erwiderten. Sie zitterte vor Angst. An die Männer auf dem Wehrgang hatte sie nicht mehr gedacht. Im Allgemeinen hielten sie Ausschau nach Angreifern der Burg, doch der Lärm des Gefechts, bei dem Ulric umgekommen war, musste ihre Aufmerksamkeit angezogen haben. Falls einer von ihnen den Hof beobachtet und sie gesehen haben sollte, war sie verloren. Aus diesem Gewirr von Stützpfeilern und Verstrebungen konnte sie nicht fliehen.
    Zunächst war sie so entsetzt darüber, in einer Falle zu sein, dass sie nicht begriff, was die Männer im Hof den Wachen zuriefen. Die kurzen Verneinungen der Wächter waren jedoch unmissverständlich. Die nachlassende Furcht ermöglichte es Garys zu begreifen, dass die Männer die Wachen warnten, auf die zum Wehrgang führenden Leitern zu achten. Die Bohlen über ihr dröhnten, als ein Mann darüber hinwegging, und sie hörte seine Schritte sich entfernen. Sie klammerte sich weiterhin reglos an ihren Halt und fürchtete, weil sie den Atem anhielt, zu ersticken.
    Sie bezwang jedoch den Drang, Luft zu holen, damit die Männer sie nicht hörten.
    Dann blieb ihr beinahe das Herz stehen, als ein sie suchender Mann direkt auf sie zukam. Er hielt die Fackel jedoch nicht unter den Wehrgang, sondern betrat die Scheune, auf die Carys gesprungen war, und begann, hinter den darin aufgestapelten Fässern und Ballen nach ihr zu suchen. Sie erstickte fast an ihrem unterdrückten angstvollen Wimmern, als sie ihn herauskommen sah. Sein Rücken war jedoch der Palisade zugewandt. Mürrisch stieß er Flüche und Drohungen aus, während er zum nächsten Gebäude ging. Sie fühlte sich wie befreit, als sie merkte, dass alle Männer damit befasst waren, in den verschiedenen Versorgungsbauten nachzusehen, ob sie sich dort versteckt hatte.
    Ein Anflug von Verachtung ließ ihre Angst noch weiter schwinden. Was für Narren Männer doch waren! Wie konnten sie annehmen, sie sei so töricht, sich an einem dieser Orte zu verstecken? Sie wusste indes, dass ihre Verschnaufpause nur von kurzer Dauer war. Sobald die Männer die Gebäude durchsucht hatten, würde sie in noch größerer Gefahr sein. Gleichviel, die Verachtung für sie hatte sie entspannt.
    Langsam rückte sie weiter und lugte nach rechts und links, um zu sehen, wo die Leitern waren. Dort würden die Wachen besonders auf sie achten. Sie konnte jedoch keinen Wächter sehen, und dieser Glücksfall schärfte ihren Verstand. Sie wusste, dass sie nicht bleiben konnte, wo sie sich befand, das Gelände der Burg jedoch auch nicht verlassen konnte. Die Zugbrücke über dem Wallgraben war hochgezogen und für die Nacht befestigt worden. Carys überlegte, dass sie vielleicht hinunterklettern und sich in einer der Scheunen verbergen könne, die bereits durchsucht worden war. Aber welchen Vorteil brachte ihr das? Sie konnte nicht sicher sein, dass die
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