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0315 - Wenn der Totenvogel schreit

0315 - Wenn der Totenvogel schreit

Titel: 0315 - Wenn der Totenvogel schreit
Autoren: Jason Dark
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dürfen.
    Schon sehr früh standen Lucy und Harry auf. Der Junge schlief noch. Sie würden ihn später wecken. Die Zeitung war schon da.
    Harry legte sie weg, ohne hineingeschaut zu haben. Es war Samstag.
    Er hatte an diesem Tage eigentlich frei, doch Harry wollte noch im Forst nachschauen, denn es gab einige Bäume, deren Kennzeichnung nicht aufgeschoben werden durfte, da sie die ersten sichtbaren Folgen des sauren Regens zeigten. Harry wollte dies weitermelden.
    Lucy hatte das Frühstück bereitet. In der kleinen Küche saßen sich die beiden gegenüber. Draußen war es schon hell geworden. Auf den Bäumen lag eine dicke Schicht Raureif. Der Winter war über Nacht noch einmal kräftig zurückgekehrt. Auch auf den Steinen der Wege glitzerte das Eis, man musste mit glatten Straßen rechnen.
    »Und was tun wir?« fragte Lucy, als sie einen Schluck Kaffee trank.
    Ihr Mann hob die Schultern. »Nichts können wir tun.«
    »Aber der Vogel hat geschrieen.«
    »Das weiß ich. Da wird auch jemand gestorben sein. Seien wir froh, dass es keiner von uns gewesen ist.«
    »Aber Harry, ich…«
    »So schlimm es sich anhört. Es ist eine Tatsache.«
    Lucy nickte. Sie bestrich einen Toast mit Marmelade. Ihre Bewegungen wirkten geistesabwesend. Sie war überhaupt nicht bei der Sache und dachte nur an die Ereignisse der vergangenen Nacht.
    »Der Totenvogel«, murmelte sie nach einer Weile. »Hast du ihn eigentlich schon gesehen?«
    »Natürlich, wenn er…«
    »Nein, das meine ich nicht. Richtig gesehen, verstehst du? So von Angesicht zu Angesicht.«
    »Das habe ich nicht.«
    »Vielleicht gibt es ihn gar nicht so, wie wir ihn uns vorstellen«, sagte sie.
    Ihr Mann hob die Schultern. Er schaute zum Fenster. In der Nähe stand ein Baum. Ein paar seiner Zweige gerieten in das Blickfeld des Mannes. Sie leuchteten weiß. Er konnte auch ein Stück Himmel und die blasse Sonne sehen.
    Im März besaß sie schon Kraft. Nur wenn der Winter so vehement zurückkehrte, konnte sie nicht viel erreichen.
    »Komm, iss etwas«, bat Lucy.
    »Danke, ich habe keinen Hunger.«
    »Aber du musst doch…«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Bitte, lass mich damit in Frieden! Ich kriege einfach nichts runter.«
    »Natürlich.«
    Harry lächelte schmal. Er griff über den Tisch und streichelte das rotbraune Haar seiner Frau. Sie trug es kurz geschnitten und an den Seiten zu Locken gedreht. Dreiunddreißig war sie jetzt. Sie hatte sich noch gut gehalten und wirkte mit dem runden Gesicht immer frisch und ausgeruht. Doch heute lagen Schatten unter ihren Augen, da sah die Haut blass aus, ebenso die Lippen.
    »Ich werde trotzdem in den Wald gehen«, sagte er.
    Lucy erschrak. »Aber der Vogel…«
    Harry lächelte nur. »Hat er mich schon jemals angegriffen oder habe ich ihn überhaupt während meiner Arbeit gesehen?«
    »Nein, das nicht…«
    »Na bitte.«
    »Es könnte doch sein. Ich habe so ein komisches Gefühl, Harry. Bitte, bleib heute zu Hause.«
    »Lucy, ich habe dem Duke versprochen…«
    »Ach, der Baron. Bist du sein Leibeigener?«
    Harry nickte. »Das zwar nicht, aber manchmal komme ich mir wirklich so vor.«
    »Sollen wir hier wegziehen?«
    Überrascht blickte der Mann seine Frau an. »Das hast du mich noch nie gefragt.«
    »Nein, aber ich will die ewige Angst nicht mehr mitmachen. Hier ist mir einiges nicht geheuer. Das musst du verstehen.«
    Harry nickte bedächtig. »Im Prinzip hast du sogar recht. Auch ich würde verschwinden, wenn mein Leben in Gefahr wäre…«
    »Nicht nur deins, sondern auch unser Leben«, unterbrach Lucy ihren Mann. »Das darfst du nicht vergessen.«
    »Und wo sollen wir hin?«
    »Egal, nur irgendwo verschwinden.«
    Lucy schaute ihren Mann an. Der senkte den Kopf. Harry war ein kräftiger Typ. Er konnte zupacken. Die Arbeit im Wald des Barons war nicht einfach. Auch wenn beim Fällen der Bäume starke Motorsägen eingesetzt wurden, so konnte der Mensch und dessen Muskelkraft nie ganz ersetzt werden. Harry war blass geworden. Sein Haar hing ihm ins Gesicht. Es war von keinem Kamm unter Kontrolle zu bekommen. Ein dunkelblonder Wirrwarr, der die breite Stirn bedeckte und manchmal bis in die Augen fiel.
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Lucy, ich sehe keine Chance.«
    »Wieso nicht?«
    Harry hob beide Arme. »Überlege doch mal, Mädel. Das ist gar nicht so einfach. Hier habe ich einen Job, ein sicheres Auskommen, wir wohnen in einem Haus…«
    »Aber ein unsicheres Leben!« konterte Lucy.
    »Noch ist uns nichts
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