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031 - Der Puppenmacher

031 - Der Puppenmacher

Titel: 031 - Der Puppenmacher
Autoren: Ernst Vlcek
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Wagen zu steigen, als die Pforte neben der Toreinfahrt aufging. Eine Frau in Schwarz trat heraus und wandte sich nach links. Sie trug einen langen, schwarzen Mantel und einen Hut mit einem Schleier, der ihr ganzes Gesicht verbarg.
    Als sie in den Lichtschein der Straßenlaterne trat, sprang Chapman wie von der Tarantel gestochen aus dem Wagen und rief: »Lady Hayward, Lady Hayward, darf ich.«
    Doch die Frau reagierte nicht auf den Anruf. Sie überquerte die Straße mit schnellen, trippelnden Schritten und verschwand in der nächsten Querstraße.
    Chapman war unschlüssig stehengeblieben.
    »Sagten Sie nicht eben, Lady Hayward sei bettlägerig?« fragte Dorian, der ebenfalls aus gestiegen war.
    »Ich hätte schwören können, daß sie es war«, murmelte Chapman irritiert und hob die Schultern. »Wahrscheinlich habe ich mich geirrt, als ich meinte, durch den Schleier die Gesichtszüge einer Asiatin zu erkennen. Kommen Sie, Dorian! Lord Hayward wird uns bereits erwarten.«
     

     

Der Mann öffnete die Vorderfront, und im Puppenhaus gingen die Lichter an. Die Puppen waren in ihren kurzen Flitterröckchen und mit den enganliegenden Oberteilen zur Leblosigkeit erstarrt. Nur eine einzige Puppe bewegte sich. Sie war nackt und verbarg ihre Blöße mit den zierlichen Händen.
    Aber obwohl in ihr mehr Leben war als in den anderen sechs, wirkte auch ihr Gesicht leer und ausdruckslos; die Augen blitzten nicht wie Diamanten, sondern waren stumpf.
    »Seht nur, wie sie sich schämt, meine widerspenstige Puppe!« sagte der Mann amüsiert und spöttisch. »Oder ist ihr etwa kalt?«
    Die nackte Puppe erschauerte.
    »Ich habe dir etwas mitgebracht«, sagte der Mann und ließ ein Flitterkleidchen am Schulterträger von seinem Zeigefinger baumeln.
    »Willst du es nicht anziehen?«
    Die nackte Puppe rührte sich nicht.
    Der Mann rückte den Zeigefinger, von dem das winzige Kleid baumelte, näher an sie heran. Als seine Fingerkuppe nur noch zwei Zentimeter von der Puppe entfernt war, fauchte sie plötzlich und bleckte ihre schwarzen Zähne. Noch ehe der Puppenmacher seinen Finger zurückziehen konnte, hatte ihn die Puppe gebissen.
    Der Mann gab einen unterdrückten Wutschrei von sich und sog das Blut aus der Wunde. Dann hatte er sich wieder gefaßt und sagte mit seiner flüsternden Stimme, in der ständig unterschwellig Lüsternheit mitschwang: »Du kleine Rebellin willst doch deinen Herrn und Meister nicht verärgern? Mir scheint, du kommst mit deinen Gedanken nicht von deinem ehemaligen Liebhaber los. Das muß sich ändern. Ich werde dich lehren, nur noch mich zu lieben.«
    Die nackte Puppe erschauerte wieder. Ihre Augen wurden auf einmal von einem inneren Feuer erhellt, glitzerten wie zwei sprühende Diamanten. Ihre Arme begannen konvulsivisch zu zucken; es war, als versuchte sie, die Arme in ihre Gewalt zu bekommen, während eine fremde Macht sie zur Bewegung zwang. Und dann breitete sie sie aus, riß sie nach hinten und stützte sich auf dem Boden auf. Ihr Körper hob und senkte sich, als würde ein Gewicht auf ihm liegen, von dem sie sich befreien wollte. Der Puppenmacher atmete schneller, während die Bewegungen des kleinen, nackten Puppenkörpers immer rhythmischer wurden, er paßte sich dem Rhythmus an; er atmete im Rhythmus der Puppe, er wiegte sich im Rhythmus der Puppe, und als sie plötzlich wild und in heftiger Abwehr fauchte, kam ein befreiendes Gurgeln aus seiner Kehle.
    Die Puppe sank erschöpft zurück und blieb reglos liegen. Der Puppenmacher beleckte sich die Lippen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann lächelte er.
    »Du wirst noch lernen, mich zu lieben, meine leidenschaftliche Puppe.«
    Und dann streifte er ihr – zärtlich und behutsam – das Flitterkleidchen über den reglosen Körper. Er glaubte, über sie nun endgültig gesiegt und ihren Widerstand ein für allemal gebrochen zu haben; er glaubte, nun Herr und Meister über sie zu sein und sie nach seinen Worten tanzen lassen zu können. Doch er irrte sich. Er hatte keine Ahnung von dem Feuer, das in ihrem kleinen Herzen loderte; das Feuer der Liebe für ihren Geliebten, das Feuer des Hasses für ihn.
     

     
    Während Chapman die drei Stufen zum Eingang der Villa hinaufging und so heftig an der Türglocke zog, daß das Gebimmel bis zu ihnen herausdrang, blickte sich Dorian um.
    Der Park, durch den sie gekommen waren, wirkte verwahrlost. Auf dem Weg sproß zwischen dem Kies Unkraut hervor, das Laub vom Herbst lag noch herum, und die
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