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03 - Schatten Krieger

03 - Schatten Krieger

Titel: 03 - Schatten Krieger
Autoren: Michael Cobley
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in einen der alten Bäume eingeschlagen und nur einen Stumpf übrig gelassen, aus dem einige schmalere Äste gesprossen waren. Der Baumstumpf selbst war offenbar von einem Holzschnitzer bearbeitet worden, der eine sehr fein herausgearbeitete Skulptur aus Blättern, Beeren und Kletterpflanzen gestaltet hatte, welche die geschnitzten Gesichter von Corleks Mutter und Bruder umrahmten. Sie hatten die Augen geschlossen, lächelten aber, als ruhten sie in Frieden. Unter ihren Halbreliefs waren drei kleine Regale übereinander aus dem Holz herausgearbeitet worden, und auf jedem standen daumengroße Votivkerzen. In den winzigen Vertiefungen um ihre Dochte hatte sich Regenwasser gesammelt.
    Als Corlek die Hand ausstreckte, um die wundervoll geschnitzten Gesichter zu berühren, konnte er endlich seinen lautlosen Tränen freien Lauf lassen.
    Keine Familie, keine Leichen, keine Knochen und keine Gräber, dachte er trostlos. Kein Heim und keine Hoffnung.
    »Mir ist nichts geblieben als mein Name«, murmelte er und verstummte, als leises Prasseln und das Rascheln der Blätter einen Regenschauer ankündigten. Er setzte seinen Hut ab und hob das Gesicht den kalten Regentropfen entgegen. So verharrte er eine Weile, bis Rugal ihn schließlich aus dem Wäldchen führte.
    »Du wusstest es«, erklärte Corlek. »Du wusstest von unserer Geheimtür.«
    Rugal lachte leise. »Natürlich. Ich selbst habe die Büsche rechts und links daneben als Tarnung gepflanzt. Dachte mir, dass ein Fluchtweg irgendwann vielleicht ganz nützlich sein könnte …«
    Als sie sich dem Wall näherten, verstummten sie und schlichen geduckt weiter. Rugal kniete sich vor die versteckte Luke und öffnete sie. Dabei flüsterte er Corlek einen Namen und eine Adresse zu. »Sie sind alte Freunde meiner Familie«, sagte er. »Sagt ihnen, dass Vater Wolf Euch geschickt hat, junger Herr, dann werden sie Euch eine Weile verbergen und für Euch sorgen. In der Zeit suchen wir ein sicheres Versteck außerhalb Sejeends für Euch. Denn wenn Ilgarion erst die Krone trägt, wird Friede zu einem seltenen Gut werden, und es wird nirgendwo mehr Sicherheit geben.«
    »Was meinst du damit?«, erkundigte sich Corlek.
    »Ihr wisst es vielleicht noch nicht, aber diese fanatischen Mogaun, die den Gestalter anbeten, haben letzte Woche Mantinors größte Armee ausradiert. Und was diesen Gestalter-Propheten angeht, der die Tempelherren der Jefren unter seinem Banner sammelt…«
    Corlek schüttelte den Kopf. Er hatte nur vage Gerüchte über die Bedrohung gehört, die das vom Gestalter-Kult dominierte Anghatan für Honjir darstellte. Letzteres war seit fast fünfzig Jahren Schutzprotektorat des Kaiserreiches. Er hatte die Gerüchte jedoch nicht so ernst genommen, weil schließlich das gewaltige Nagira-Gebirge zwischen den beiden Ländern lag.
    Neben ihm hob Rugal die grasbedeckte Luke an, und Corlek kniete sich hin, um hindurchzukriechen. Er hielt jedoch kurz inne und sah noch einmal zu dem alten Diener hoch.
    »Danke, Rugal. Danke für deine Güte und für den Schrein. Er ist… mehr als nur angemessen …« »Ich hätte mehr getan, wenn es mir möglich gewesen wäre, Meister Corlek. Ich wünsche Euch Gesundheit und ein langes Leben. Beides werdet Ihr sicherlich eher woanders als hier in dieser Stadt finden. Ich gebe Euch diesen Rat, auch wenn ich weiß, dass Ihr ihn wohl kaum annehmen werdet.«
    Corlek lächelte traurig. »Vielleicht doch, Rugal, aber verrate mir zunächst den Namen der Menschen, die sich in unserem Heim breit machen. Den Namen der Leute, die tatenlos zusahen, wie meine Mutter und mein Bruder verbrannten.«
    Rugal zögerte, und Corlek wartete. Schließlich beugte sich der alte Mann vor.
    »Die dor-Galyn sind eine einflussreiche Familie und enge Vertraute des Kronprinzen Ilgarion. Ihr ältester Sohn ist gerade zum Hauptmann der Ehernen Garde befördert worden.« Er legte die Luke neben das Loch in der Erde. »Seid wachsam, junger Herr«, sagte er noch. »Möge das Licht Euch den Pfad weisen.«
    Als Corlek in den niedrigen Tunnel gekrochen war, fiel die Luke mit einem gedämpften Laut an ihren Platz zurück. Auf der anderen Seite des Walles starrte er einen Moment lang in die stickige Dunkelheit des Blattwerks und lauschte auf die Schläge seines Herzens. Dabei sagte er sich lautlos immer und immer wieder einen Namen vor.
    Dor-Galyn, dor-Galyn … Ich muss mehr über sie in Erfahrung bringen.
    Dann seufzte er und setzte seinen Weg durch das Dickicht fort, bis er zu einer
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