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022 - Schreie aus dem Sarg

022 - Schreie aus dem Sarg

Titel: 022 - Schreie aus dem Sarg
Autoren: Larry Brent
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eines
afrikanischen Landes, wo Monsieur Simonelle so oft geschäftlich zu tun hatte.«
    Vier Träger kamen hinten aus der düsteren Kapelle und nahmen wortlos den
schweren Sarg, um ihn in die angrenzende Gruft zu bringen. Dort sollte Charlene
gleich den Gebeinen ihrer Ahnen beigesetzt werden.
    Das totenblasse Gesicht der erst vierzigjährigen Madame Simonelle
schimmerte hinter dem dichten schwarzen Schleier, den sie über dem Gesicht
trug. Ein flehentlicher Blick traf den Gatten, der sich an ihrer Seite erhob.
    Simonelle schluckte. Seine Frau brauchte nichts zu sagen. Er las in ihren
Augen, was in diesen Sekunden in ihr vorging und worüber sie während der
vergangenen drei Tage so oft gesprochen hatten.
    »Es ist richtig, glaub' mir.« Seine Lippen bewegten sich kaum, als er sie
ansprach, leise und gedämpft, dass niemand sonst es hören konnte. Seine Stimme
war nur ein Hauch. »Der Anruf war ein Scherz! Charlene war tot, als sie hier in
Europa eintraf, und sie ist tot, glaub' mir! Wir haben drei Tage lang
Totenwache an ihrem Sarg gehalten! Es hat sich nichts ereignet. Dein Schmerz
war zu groß. Du hast dich an einen Strohhalm geklammert, den es in Wirklichkeit
gar nicht gab.«
    Sie nickte kaum merklich. Er nahm sie beim Arm, und sie gingen hinter dem
Sarg her, den die Träger zu der inzwischen geöffneten massiven Eisentür
schleppten.
    Kerzen brannten in den kleinen Nischen des rohen Gemäuers. Grob und massig
wurden die Schatten des Sarges und der Menschen an die Gewölbedecke geworfen.
    Die Träger überschritten gerade die Schwelle zur Gruft, als es geschah ...
    Ein gellender und markerschütternder Schrei hallte durch das Gewölbe, dass
die Menschen auf der Stelle erstarrten und den Atem anhielten, als würde eine
eisige Hand aus der Dämmerung nach ihnen greifen und den Brustkorb
zusammenpressen.
    Die Träger ließen den Sarg fallen, als hätte ein elektrischer Schlag sie
getroffen. Ein dumpfes Dröhnen hallte durch das Gewölbe, pflanzte sich fort,
kehrte als Echo zurück und erfüllte die kleine Totenkapelle.
    »Der Sarg!«, rief jemand, und die Worte waren so unwirklich, so
unglaublich, dass Simonelle sich sträubte, sie wirklich gehört zu haben.
»Charlene hat geschrien! Ihre Stimme kam aus dem Sarg!«
    Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so ruhig war es.
    Simonelle fasste sich als erster.
    »Unsinn«, murmelte er. Er blickte sich um. Seine Augen schienen die
erschrockenen Trauergäste durchbohren zu wollen. Er blickte zur Kapelle vor.
Die Tür war spaltbreit geöffnet. Er schluckte. »Es hat sich jemand einen sehr
makabren Scherz erlaubt.« Mit einer fahrigen Bewegung strich er sich über seine
schweißnasse Stirn und ging dann gemessenen Schrittes zur Tür. »Ich hatte sie
geschlossen! Ich weiß es genau!« Er warf einen Blick hinaus in den dämmrigen
Park. Ein leichter Wind säuselte in den dichten Wipfeln der alten Bäume, und
hinter dem Dickicht rauschte der Fluss. Der Ruf eines Vogels war schwach und
fern zu hören. Ein Zweiter antwortete, noch weiter entfernt.
    Rundum aber war alles still, dämmrig und verlassen ... Simonelle jedoch
hätte in diesen Sekunden nicht genau zu sagen gewusst, woher der Schrei
wirklich gekommen war. Von der Tür her oder aus dem Sarg ...
    Er kehrte zu den Wartenden zurück.
    »Öffnet den Sarg«, sagte in diesem Moment Madame Simonelle. Ihre Stimme
klang ein wenig unsicher, obwohl sie sich bemühte, ihr Festigkeit zu geben.
    »Aber Cherie«, hauchte Simonelle. Er starrte seine Frau an, als stünde
statt ihrer ein Geist vor ihm.
    »Ich will es genau wissen, Philipe«, antwortete sie. Es störte sie nicht,
dass man sie anstarrte. Die Sargträger blickten sich ratlos an.
    Der Pfarrer fuhr sich mit der Zunge über seine trockenen Lippen. Jedem
merkte man an, dass keiner die Situation recht begriff und überhaupt mitbekam.
Alles schien hier abzurollen wie ein Film auf der Leinwand.
    »Ich bitte dich, Cherie.« Simonelle hob ratlos die Hände. »Ich kann dich
verstehen. Du konntest vom ersten Augenblick an nicht glauben, dass sie
wirklich tot war. Aber es ist nun mal so, Madeleine. Du musst dich damit
abfinden! Auch der Tod gehört zu unserem Leben!«
    Das Ganze war ihm peinlich. Es fiel ihm offensichtlich schwer, in diesem
Augenblick die richtigen Worte zu finden.
    »Öffnet den Sarg!« Madeleine blieb dabei. Es war ihr gleich, was die
Umstehenden dachten. Der Sohn, Jean-Pierre, stützte die Mutter. Über seine
blutleeren, zitternden Lippen kam kein Ton.
    Zwei
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