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022 - Die wandelnde Tote

022 - Die wandelnde Tote

Titel: 022 - Die wandelnde Tote
Autoren: Bernd Frenz
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hinaus - doch es gab weit und breit keine Menschenseele, die ihn hören konnte.
    ***
    Plymeth, vier Wochen später
    Die Marktstraßen waren wie immer überfüllt. Eine unförmige Masse schwitzender, stinkender, hin und her drängender Männer, Frauen und Kinder wand sich durch das verschlungene Labyrinth des Hafenviertels.
    Hier gab es alles zu sehen und zu kaufen. Seltene Gewürze, wohlschmeckende Speisen, berauschende Getränke - jede erdenkliche Sinnenfreude war im Überfluss vorhanden.
    Zumindest für jene, die bezahlen konnten.
    Scharfe Küchengerüche vermischten sich mit dem süßlichen Aroma der Parfüm- und Badeölhändler. Von Meisterhand geschmiedete Waffen waren ebenso zu sehen wie kunstvoll geformte Schmuckstücke aus Edelmetall oder kostbare Stoffe aus fernen Ländern. Aber es gab auch billigen glitzernden Tand, der die Käufer blenden sollte. Schwerter, die beim zweiten Hieb zerbrachen oder saure Weine, bei denen sich der Mund nach dem ersten Schluck zu- sammenzog.
    Die Menschenmenge war eine bunte Mischung aus Tugend und Verrufenheit. Seriöse Händler standen neben habgierigen Halsabschneidern, Heilkundige offerierten ihre Dienste ebenso wie Quacksalber und Scharlatane.
    Sogar Sklavenhändler boten in der aufstrebenden Handelsstadt an der Südküste Britanas ihre menschliche Ware an. So mancher fremdländische Besucher von Plymeth war nach einem Schlag auf den Hinterkopf schon selbst als Angebot der Woche erwacht.
    So vielfältig die Anbieter waren, so unterschiedlich wirkte auch ihre Kundschaft.
    Hagere Bettler in zerrissenen Lumpen standen neben reichen Kaufleuten, denen der Wohlstand in Fettringen um die Hüften hing.
    Allerlei zwielichtiges Gesindel bevölkerte die verstopften Straßen. Wer seinen Lebensunterhalt auf unredliche Weise bestritt, war allerdings gewissen Gefahren ausgesetzt. Obwohl viele Einwohner der Meinung waren, dass es in Plymeth weder Recht noch Ordnung gab, griffen die Stadtwachen zu drastischen Mitteln, wenn es darum ging, die schlimmsten Auswüchse zu beschneiden.
    In der Regel oberhalb des Handgelenks. Einige schamvoll verdeckte Armstümpfe zeugten von der Präsenz britanischer Justiz. Doch wer mochte schon von Gerechtigkeit sprechen, wenn er das menschenunwürdige Treiben auf den Sklavenmärkten sah? Dort wurden Menschen an den Meistbietenden verschachert, als hätten sie kein Recht auf ein eigenes selbstbestimmtes Leben.
    Besonders laut und turbulent ging es auf dem Frauenmarkt nahe der Kaimauern zu. Hier drängten sich nicht nur Händler und Käufer, sondern auch viele Gaffer, die sich an dem Anblick der hilflosen Sklavinnen erfreuen wollten.
    Die Versteigerung fand auf einem aus Holz gezimmerten Podest statt, das mit hellem Segeltuch überzogen war. Auf dieser Präsentationsfläche konnten alle Interessenten die angebotene Ware gut sehen. Die füllige Köchin aus Dabblin, die gerade versteigert wurde, erregte zwar nur mäßiges Interesse, aber jeder Marktbesucher wusste, dass die schönsten Frauen erst am Schluss feilgeboten wurden.
    Die besten Aussichtsplätze gab es zweifellos in dem Hochhaus, das hinter der Bühne aufragte. Die Fassade war im vergangenen Sommer in sich zusammengebrochen; seitdem boten die luftigen Zimmer wenig Wohnkomfort, aber eine wundervolle Aussicht auf das Markttreiben.
    Fünf Stockwerke übereinander drängten sich Schaulustige, die den ungewöhnlichen Blick auf Markt und Hafen genießen wollten. Irgendwann würden die verbliebenen Außenwände der Be- lastung nicht mehr standhalten und das Haus würde in sich zusammen brechen. Wenn die Trümmer dann beiseite geräumt waren, konnte der Marktplatz wieder ein Stück wachsen.
    Die übrigen Häuser aus alter Zeit, die das freie Karree säumten, wirkten weniger baufällig. Der bewohnte Teil der Hafenstadt war frei von zugewucherten Gebäuden. Efeu- und Kletterpflanzen dienten bestenfalls zur Zierde. Autowracks, Verkehrsschilder, Ampelpfeiler und ähnlich eisenhaltige Relikte waren längst abmontiert und in einer der zahl- reichen Schmieden zu neuen Gegenständen verarbeitet worden. Die Zeugnisse der Vergangenheit wurden spärlicher, selbst der von Rissen und Schlaglöchern überzogene Straßenasphalt wurde immer häufiger durch Steinpflaster ersetzt.
    Nur nahe des Podiums erhoben sich noch die Überreste eines alten Kranwagens. Die Karosserie des stählernen Ungetüms war so tief in den Boden gesunken, dass er sich mit Muskelkraft nicht mehr bewegen ließ. Im Laufe der Zeit war er mit Efeuranken
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