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02 - Schatten-Götter

02 - Schatten-Götter

Titel: 02 - Schatten-Götter
Autoren: Michael Cobley
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sich zog. »Ich hab noch nie zuvor eine Hexe erwischt…«, setzte er an.
    Sie rammte ihm die Klinge in die weiche Stelle hinter seinem Ohr. Das Blut spritzte aus der Wunde, als sie das Messer herausriss und an ihm vorbeistürmte, während er zu Boden sank. Ein Chor von wütenden Stimmen folgte ihr durch eine nahe, offen stehende Tür. Kaum im Inneren angelangt, wirbelte sie auch schon herum, schlug die Pforte mit beiden Händen zu und schob den schweren Riegel vor. Augenblicke später hämmerten ihre Verfolger heftig gegen die Tür, die in ihrem Rahmen bebte, aber hielt.
    Als das Holz schließlich unter den Tritten der Briganten zersplitterte, zog sich Nerek bereits auf das Dach hinter dem Torweg und sah sich verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit um. Sie entdeckte einen niedrigeren Anbau, kletterte hinunter und sprang mit einem Satz über den Spalt, der ihn von dem eisglatten, flachen Dach eines Stalles trennte. Eine frostüberzogene, eiserne Leiter führte zu einem gewölbten Schieferdach, das erste von einer ganzen Reihe Dächern, die sich hügelaufwärts und weg vom Fluss erstreckten.
    Sie hörte einen wütenden Schrei und sah über die Schulter zurück. Zwei Männer erklommen soeben das Dach des letzen Hauses und zwei weitere tauchten auf der Straße auf und deuteten auf Nerek.
    Die Jagd hatte begonnen.
    Die Villa des Kaufmannes Hevrin lag im Schutz einer Reihe schneebedeckter Ankerilbäume, hinter denen sich noch eine Steinmauer befand. Einer der Wächter hatte Keren begrüßt, als sie von der Hauptstraße auf die Zufahrt ritt, vorbei an eisigen Feldern, auf denen Knechte schufteten, an Scheunen und Stallungen, in denen geschäftiges Treiben herrschte und neben denen Gruppen von Zimmerern neue Ställe errichteten. Am Eingangstor zu dem Villengrundstück ließ sie ihr Pferd in der Obhut der Stallknechte und übergab auch ihr Schwert dem Posten in seinem kleinen Wachhaus. Früher einmal hätte sie dieses Ansinnen kalt verweigert. Mittlerweile hatte sie gelernt, dass ein Schwert nicht ihre einzige Waffe war, und gab das ihre jetzt kommentarlos heraus. Hinter dem Tor lagen Gärten, durch die sich ein Pfad zum Haupteingang der Villa schlängelte. Schwere Doppeltüren aus Steinholz waren mit schwarzem Eisen beschlagen, auf denen ein schlichtes Wappen prangte. Es zeigte ein Schiff, eine Glocke und eine Fackel. Noch während Keren und der Wächter die wenigen Stufen zu dem Portal hochstiegen, schwangen die Türen nach innen auf, und ein großer, älterer Mann trat ihnen entgegen. Als er sie begrüßte, bildete sein Atem Wolken in der kalten Luft.
    »Lady Keren, Ihr ehrt mich und mein Haus mit Eurem Besuch. Bitte tretet ein und seid herzlich willkommen.« Hevrin musste in seiner Jugend eine beeindruckende Gestalt gewesen sein, und etwas von dieser Ausstrahlung hatte sich auch im Herbst seines Lebens noch erhalten. Als sein erstes Schiff im Golf von Noriel in einem Wintersturm von Piraten gekapert worden war, hatte er angeblich zwei kleinere Schiffe über Land nach Rauthaz bringen lassen und persönlich die Verfolgung aufgenommen. Am Ende hatte er nicht nur sein Schiff zurückerobert, sondern auch noch reichliche Beute gemacht. Heute trug er ein derbes, wettergegerbtes Wams von der Art, das bei Arbeitern sehr beliebt war, dazu eine einfache Samthose, deren Säume er in hohe Stiefel gesteckt hatte, die beinahe auffällig abgenutzt waren.
    »Ich danke Euch, Herr Hevrin, für Euren herzlichen Empfang«, erwiderte sie förmlich. »Und für die Einladung.« Lady Keren?, dachte sie ironisch, als der Kaufmann sie in eine warme, niedrige Eingangshalle führte, die von Öllampen erleuchtet wurde. Dabei stehe ich mit Reithosen vor ihm und stinke nach Pferd … Hevrin befahl einem seiner Dienstboten, Erfrischungen zu bringen, und führte sie dann durch die Halle in einen Raum, der mit Wandbehängen geschmückt war und von einem Holzfeuer gewärmt wurde. Er bedeutete Keren in einem Armsessel mit einer hohen Rückenlehne neben dem Kamin Platz zu nehmen und verließ dann den Raum. Augenblicke später kehrte er mit einem flachen Kästchen unter dem Arm zurück. Ein Diener folgte ihm auf dem Fuß und stellte ein Tablett mit Gläsern und Delikatessen auf einen Tisch neben Keren. Nachdem Hevren den Lakaien weggeschickt hatte, öffnete er das Kästchen und nahm ein in Leder gebundenes Buch heraus. »Die Geschichte, die Ihr sucht, findet sich auf diesen Seiten, Mylady«, sagte er und hielt ihr das Buch hin. »Ich habe die entsprechende
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