Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
012 - Der Schatten des Vampirs

012 - Der Schatten des Vampirs

Titel: 012 - Der Schatten des Vampirs
Autoren: Maurice Limat
Vom Netzwerk:
den Rohgummi, sammeln, der aus den angezapften Bäumen floss.
    Die Posada – Kneipe und Hotel in einem – stand in der Mitte der gottverlassenen Pflanzung und war für die Männer der Mittelpunkt der Welt.
    Die „Mama“, eine gute Sechzigerin mit brauner Haut und lauter Stimme, regierte mit verbindlichem Lächeln furchtlos in dieser Welt der Abenteurer. Aber sie beherrschte auch die paar Frauen, die sich bis hierher gewagt hatten in der vagen Hoffnung, von einem der Seringueiros geheiratet zu werden.
    Hier gab es keine Tischmanieren. Die „Mama“ bediente die rauen Burschen, die zum Teil noch die Lederanzüge der Viehhüter aus den Ebenen trugen. Die anderen, die manchmal nur in Lumpen gekleidet waren, trugen Strohhüte mit breitem Rand, die sie ewig auf dem fettigen Kopf behielten.
    Nach der Arbeit kamen sie in die Posada, im Gürtel die
    Machadila, das Messer, das ihnen bei der Arbeit diente. Sie behielten es immer bei sich. Langsam kam eine gewisse Fröhlichkeit auf, wenn sie rings um einen großen Tisch saßen, wo ein kleiner Kaiman in einer fettigen Saucenschüssel schwamm. Sie aßen mit den Händen, schmatzten und prusteten und waren mit den Augen bei den Mädchen, die der „Mama“ beim Servieren halfen. Später rauchte man unzählige Puros, besonders schwarze Zigarren, während ein Bandoneon jaulte oder eine Mandoline schluchzte.
    Die Borachas, wie man die erhitzten Kautschukkugeln nannte, gingen von Hand zu Hand und wurden sachkundig begutachtet. Sie stammten nämlich von verschiedenen Bäumen, Manicobas und Heveas, und ihre Qualität war unterschiedlich. An diesem Tisch wurden Geschäfte gemacht, Freundschaften geschlossen – aber hier entstand auch Streit zwischen den Männern, sogar häufig. Das endete dann in einem gnadenlosen Duell, woran die Männer Vergnügen fanden, während es die Frauen eher verängstigte.
    Da und dort klatschten Schläge. Sie galten den Moskitos, die sich auch durch die schweren Rauchschwaden nicht abhalten ließen, ihr Jagdrevier in die Posada zu verlegen.
    Am Abend vergaßen die Männer die Hölle des Urwalds, die sie einschloss und zermürbte. Sie dachten nicht an ihre ungewisse Zukunft, die ihnen Fieberanfälle, Schlangenbisse, Spinnengift oder den Tod durch wilde Tiere bringen konnte. Manch einer würde nie mehr nach Manaos zurückkehren, um dort den Dampfer zu besteigen, der ihn in die Welt, in ein normales Leben zurückbringen sollte.
    Mit einem Mal erhob sich Applaus. Es gab ein aufgeregtes Hin und Her. Eine hübsche Frau kam den Gang herauf.
    Sie stach von ihren Schicksalsgenossinnen, die hier gestrandet waren, vorteilhaft ab. In ihrem andalusischen Kostüm sah sie gut aus, wenn auch vielleicht ein bisschen zu auffällig.
    Mit ihr kam ein junger Kerl, groß, kräftig, in einem Lederanzug. Die Reithosen waren so geschnitten, dass sie die Schenkel an der Innenseite nackt ließen, damit man besser zu Pferde saß. Er führte das Mädchen an der Hand und half ihr, auf den Tisch zu steigen. Die Zurufe wurden lauter. „Concha, unsere Concha! Concha wird tanzen!“
    Während sich Santiago setzte und die „Mama“ ihm einen Cachaca eingoss, nahm Concha lächelnd eine affektierte Pose ein und hob die schlanken Hände, in denen sie Kastagnetten hielt. Die Musikanten gruppierten sich um den Tisch und improvisierten einen Fado.
    Concha fing an zu tanzen. Santiago ließ sie nicht aus den Augen. Auch die anderen natürlich nicht, aber er war ihr Herr, ihr Liebhaber, und alle wussten, dass man der Tänzerin nicht zu nahe kommen durfte.
    Sie wohnten zusammen in einem Zimmer in der Posada. Die „Mama“ hatte sie herzlich aufgenommen und genoss als stumme Zeugin ihre stürmische junge Liebe. Concha war mit Felipe hierher gekommen. Er erntete Latex, und sie übte ihren künstlerischen Beruf weiter aus. Doch war sie mit dem groben, eifersüchtigen Mann nie glücklich gewesen, da er sie auch oft brutal behandelte.
    Die Verbindung mit Santiago hatte ihr ganzes Leben verändert. So war sie mit ihm zur „Mama“ gezogen, um dort mit ihm zusammenzuleben. Ihr heimlicher Wunsch war, am Ende der Saison mit ihrem Geliebten diese trostlose Gegend zu verlassen und mit ihm ein anderes Leben beginnen zu können. Er liebte sie in einer Art, wie sie sie bisher noch nicht kennen gelernt hatte.
    Concha tanzte, und die harten Absätze an ihren kleinen Füßen klapperten auf dem Tisch. Sie schwebte wie ein schöner Schmetterling aus dem Dschungel zwischen den Männern, deren Begierde sie fast
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher