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0113 - Schwarzer Tee aus Hongkong

0113 - Schwarzer Tee aus Hongkong

Titel: 0113 - Schwarzer Tee aus Hongkong
Autoren: Schwarzer Tee aus Hongkong
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weit über zehntausend Schriftzeichen beherrschte. Schon damals galt sie als eine Art Wunder im Dorf. Denn, obgleich sie gelehrt war, wie sonst nur der Alte, kletterte sie andrerseits mit den Jungen und Mädchen des Dorfes in den Bergen umher, als ob es gar nichts wäre. Dabei sagten ihr alle Kinder nach, daß sie geradezu tollkühn sei.
    »Sie klettert wie eine Gemse, hat Kräfte wie ein erwachsener Mann, spricht und schreibt Chinesisch in acht Dialekten, spricht und schreibt Englisch und Französisch, und sie kann besser rechnen als ich«, sagte der Missionar damals von ihr.
    Dann begann auf einmal jene unruhige Zeit, an die sich Li Yu Tang nur ungern erinnerte. Es war eine ganz eigenartige Unruhe. Manche Männer des Dorfes trafen sich heimlich in den Nächten und lauschten anderen Männern, die aus den Bergen gekommen waren. Immer öfter geisterte ein Wort durch die Unterhaltungen der Erwachsenen: Revolution.
    Li Yu Tang fragte jeden, den sie für einigermaßen gescheit hielt, was das sei: Revolution. Sie erhielt stets widersprechende Antworten. Eines Nachts folgte sie heimlich den Männern, die aus dem Dorfe zu einem verborgenen Ort eilten, um dort wieder einen Abgesandten aus den Bergen anzuhören.
    Sie lag hinter einem Felsblock, als der Mann aus den Bergen kam. Er trug eine uniformähnliche Kleidung, die ohne Abzeichen und Verzierungen war. Und er trug ein Gewehr.
    Er war ein geschickter Redner. Was er sagte, erschien Li Yu Tang ungeheuerlich, wenn sie sich auch zugeben mußte, daß ihr wacher Geist sie schon manchmal mit ähnlichen Fragen gequält hatte, allerdings in viel behutsamerer Forip.
    »Warum«, fragte der Mann aus den Bergen, »seid ihr arm, während einige wenige alles Land rings um das Dorf besitzen? Warum tun die wenigen nichts, während ihr von früh bis spät für sie auf den Beinen sein müßt?«
    Li Yu Tang hatte zu wenig von Politik gehört, als daß ihr diese Argumente nicht wie die Weisheit des Himmels hätten Vorkommen können. Wie in einem Rausch kam sie hinter ihrem Felsen hervor, warf sich dem Abgesandten aus den Bergen zu Füßen und bat ihn, er möchte sie mitnehmen zu seinen Freunden.
    Es geschah. Li Yu Tang erhielt ein Gewehr und nahm am Bürgerkrieg teil. Nach einem Jahr konnte sie besser schießen als sonst .-irgend jemand in ihrem Versteck in den Bergen.
    Eines Tages marschierten sie in das Dorf ein, aus dem sie geflohen war und hier erfuhr sie mit Erschütterung eine grausame Nachricht. Die Missionarsfamilie war er schossen worden, und zwar von dem Anführer der Gruppe, der durch seine glühenden Worte sie zu einer begeisterten Revolutionärin gemacht hatte.
    Niemand wußte besser als Li Yu Tang, was für ein grundgütiger Mensch der Missionar gewesen war. Kein Bettler war ohne Speise von seiner Tür weggegangen. Wer auch immer seine Hilfe erbeten hatte, der Missionar hatte sie ihm niemals verweigert. Seine Frau hatte Aussätzige und Kranke gepflegt, als ob es ihre eigenen Kinder gewesen wären.
    Li Yu Tang nutzte die Vorrangstellung kaltblütig aus, die sie wegen ihrer überlegenen Bildung genoß. Mit ihrem Gewehr erschien sie abends, kurz nach Einbruch der Dunkelheit, in der Hütte, die der Anführer im Dorf für sich beschlagnahmt hatte. Bevor die Posten erfaßten, was geschah, hatte Li Yu Tang ihn mit vier Schüssen aus ihrem Gewehr getötet. Dann flüchtete sie in die Berge.
    Sechs Wochen später tauchte sie in Hongkong auf. Die noch immer der britischen Krone unterstehende Stadt hatte inzwischen Tausende und aber Tausende von Flüchtlingen aus dem Landesinneren aufnehmen müssen. Hongkong war ein brodelnder Hexenkessel geworden.
    Li Yu Tang wurde von der gemischten englisch-chinesischen Polizei aufgegriffen. Man hielt sie für eine Agentin, denn ihre Bildung, so schien es, hätte der zierlichen Chinesin doch zu etwas anderem verholfen als dem, was sie betrieben hatte und wobei sie aufgegriffen worden war: beim Betteln. Das sollte wohl die Tarnung einer Agentin sein, mutmaßte ein . ganz gescheiter Unterinspektor.
    Li Yu Tang lächelte immer nur in der rätselhaften Art des Asiaten, bis sie von Sir Greene, dem stellvertretenden Polizeichef Hongkongs, vernommen wurde. Diese Unterredung fand ohne Zeugen statt. Es wurden auch kein Protokoll angefertigt und kein Tonband aufgenommen.
    Fest steht lediglich, daß Li Yu Tang, lächelnd wie immer, wieder in ihre Zelle zurückging.
    Vier Tage später war sie verschwunden. Es war das Rätsel für die Polizei. Später meldete ein
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