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01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I
Autoren: Karl May
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seiner Äußerungen, daß sie bei einem Überfall ermordet worden waren. Das hatte ihn äußerlich rauh gemacht; er wußte es vielleicht gar nicht, daß er eigentlich ein perfekter Grobian war; der Kern aber war mild und gut, und ich habe oft sein Auge feucht gesehen, wenn ich von der Heimat und den Meinen erzählte, an denen ich mit ganzem Herzen hing und auch heut noch hänge.
    Warum er, der alte Mann, grad für mich, den jungen, fremden Menschen, eine solche Vorliebe zeigte, das wußte ich nicht, bis er es mir einmal sagte. Seit ich da war, kam er öfters als vorher, hörte dem Unterricht zu, nahm mich, wenn dieser beendet war, für sich in Beschlag und lud mich schließlich sogar ein, ihn zu besuchen. Ein solcher Vorzug war noch keinem andern zuteil geworden, und ich hütete mich daher, die mir gewordene Erlaubnis auszubeuten. Diese Zurückhaltung schien ihm aber keineswegs lieb zu sein; ich erinnere mich noch heut des zornigen Gesichtes, welches er mir eines Abends, als ich zu ihm kam, zeigte, und des Tones, in welchem er mich empfing, ohne auf mein ‚good evening’ zu antworten:
    „Wo habt Ihr denn gestern gesteckt, Sir?“
    „Zu Hause.“
    „Und vorgestern?“
    „Auch zu Hause.“
    „Macht mir doch nichts weis!“
    „Es ist wahr, Mr. Henry.“
    „Pshaw! Solche grüne Vögel, wie Ihr einer seid, bleiben nicht im Nest hocken; die stecken die Schnäbel überall hin, nur nicht da, wo sie hingehören!“
    „Und wo gehöre ich hin, wenn es Euch beliebt, es mir zu sagen?“
    „Hierher zu mir, verstanden! Habe Euch schon lange einmal nach etwas fragen wollen.“
    „Warum habt Ihr es nicht getan?“
    „Weil ich nicht wollte. Hört Ihr es?“
    „Und wenn wollt Ihr denn?“
    „Heut vielleicht.“
    „So fragt getrost nur zu“, forderte ich ihn auf, indem ich mich hoch auf die Schraubenbank setzte, an welcher er arbeitete.
    Er sah mir ganz verwundert in das Gesicht, schüttelte mißbilligend den Kopf und rief aus:
    „Getrost! Als ob ich so ein Greenhorn, wie Ihr seid, erst um Erlaubnis fragen müßte, wenn ich mit ihm reden will!“
    „Greenhorn?“ antwortete ich, die Stirn in Falten ziehend, denn ich fühlte mich bedeutend verletzt. „Ich will annehmen, Mr. Henry, daß dieses Wort Euch ohne Absicht und nur so herausgefahren ist!“
    „Bildet Euch doch nichts ein, Sir! Ich habe mit vollem Bedacht gesprochen; Ihr seid ein Greenhorn, und was für eins. Den Inhalt Eurer Bücher habt Ihr gut im Kopf, das ist wahr. Es ist ganz erstaunlich, was Ihr Leute da drüben lernen müßt! Dieser junge Mensch weiß genau, wie weit die Sterne von hier entfernt sind, was der König Nebukadnezar auf Ziegelsteine geschrieben hat und wie schwer die Luft wiegt, die er doch nicht sehen kann! Und weil er dies weiß, bildet er sich ein, ein gescheiter Kerl zu sein! Aber steckt die Nase ins Leben, versteht Ihr mich, so ungefähr fünfzig Jahre ins Leben hinein; dann werdet Ihr, aber auch nur vielleicht, erfahren, worin die richtige Klugheit besteht! Was Ihr bis jetzt wißt, ist nichts – ist gar nichts. Und was Ihr bis jetzt könnt, ist noch viel weniger. Ihr könnt ja nicht einmal schießen!“
    Er sagte dies in einem außerordentlich verächtlichen Ton und mit einer solchen Bestimmtheit, als ob er seiner Sache förmlich sicher sei.
    „Nicht schießen? Hm!“ antwortete ich lächelnd. „Ist dies vielleicht die Frage, welche Ihr mir vorlegen wolltet?“
    „Ja, die ist es. Nun antwortet doch einmal!“
    „Gebt mir ein gutes Gewehr in die Hand, so will ich antworten, eher nicht.“
    Da legte er den Büchsenlauf, an welchem er schraubte, weg, stand auf, trat nahe an mich heran, fixierte mich mit verwunderten Augen und rief aus:
    „Ein Gewehr in die Hand, Sir? Wird mir nicht einfallen, ganz und gar nicht! Meine Gewehre kommen nur in solche Hände, in denen ich mit ihnen Ehre einlegen kann!“
    „Solche habe ich“, nickte ich ihm zu.
    Er sah mich noch einmal, und zwar von der Seite an, setzte sich wieder nieder, begann wieder an dem Lauf zu arbeiten und brummte vor sich hin:
    „So ein Greenhorn! Könnte mich wirklich wild machen mit seiner Dreistigkeit!“
    Ich ließ ihn gewähren, denn ich kannte ihn, zog eine Zigarre hervor und brannte sie an. Dann blieb es wohl eine Viertelstunde lang still zwischen uns. Länger aber konnte er es nicht aushalten; er hielt den Lauf gegen das Licht, sah hindurch und bemerkte dabei:
    „Schießen ist nämlich schwerer als nach den Sternen gucken oder alte Ziegelsteine von Nebukadnezar
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