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01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I
Autoren: Karl May
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dem es einen weiten Reithof gab, welcher rings von Stallungen umgeben war. Korner kam selbst herbei und fragte nach unserm Begehr.
    „Dieser junge Sir behauptet, daß ihn kein Pferd aus dem Sattel bringt“, antwortete Henry. „Was meint Ihr dazu, Mr. Korner? Wollt Ihr ihn einmal auf Euren Rotschimmel klettern lassen?“
    Der Händler maß mich mit prüfendem Blick, nickte dann befriedigt vor sich hin und antwortete:
    „Das Knochengestell scheint gut und elastisch zu sein; übrigens brechen junge Menschen den Hals nicht so leicht wie ältere Leute. Wenn der Gentleman den Schimmel versuchen will, so habe ich nichts dagegen.“
    Er gab den betreffenden Befehl, und nach einiger Zeit brachten zwei Knechte das gesattelte Pferd aus dem Stall geführt. Es war höchst unruhig und strebte, sich loszureißen. Meinem alten Mr. Henry wurde angst um mich; er bat mich, von dem Versuch abzusehen; aber erstens war mir gar nicht bang, und zweitens betrachtete ich die Angelegenheit nun als Ehrensache. Ich ließ mir eine Peitsche geben und Sporen anschnallen; dann schwang ich mich, allerdings nach einigen vergeblichen Versuchen, gegen welche das Pferd sich wehrte, in den Sattel. Kaum saß ich oben, so sprangen die Knechte eilends fort, und der Schimmel tat einen Satz mit allen vieren in die Luft und einen zweiten zur Seite. Ich behielt den Sattel, obgleich ich noch nicht in den Bügeln war, beeilte mich aber, hineinzukommen. Kaum war dies geschehen, so begann der Gaul zu bocken; als dies nichts fruchtete, ging er zur Wand, um mich an derselben abzustreifen; die Peitsche aber brachte ihn rasch von derselben fort. Hierauf gab es einen bösen, beinahe für mich gefährlichen Kampf zwischen Reiter und Pferd. Ich bot alles auf, das wenige Geschick und die unzureichende Übung, welche ich damals nur besaß, und die Kraft der Schenkel, die mich schließlich doch zum Sieger machte. Als ich abstieg, zitterten mir die Beine vor Anstrengung; aber das Pferd triefte vor Schweiß und schäumte große, schwere Flocken; es gehorchte nun jedem Druck und Ruck.
    Dem Händler war angst um sein Pferd geworden; er ließ es in Decken wickeln und langsam hin und her führen; dann wendete er sich an mich:
    „Das hätte ich nicht gedacht, junger Mann; ich glaubte, Ihr würdet schon beim ersten Sprung unten liegen. Ihr habt natürlich nichts zu bezahlen, und wenn Ihr mir einen Gefallen tun wollt, so kommt wieder und bringt mir die Bestie vollends zu Verstand. Es soll mir auf zehn Dollars nicht ankommen, denn es ist kein billiges Pferd, und wenn es gehorchen lernt, so mache ich ein Geschäft.“
    „Wenn es Euch recht ist, soll es mir ein Vergnügen sein“, antwortete ich.
    Henry hatte, seit ich abgestiegen war, noch nichts gesagt, sondern mich nur immer kopfschüttelnd angesehen. Jetzt schlug er die Hände zusammen und rief aus:
    „Dieses Greenhorn ist wirklich ein ganz außerordentliches oder vielmehr ungewöhnliches Greenhorn! Hat das Pferd halb totgedrückt, anstatt sich in den Sand werfen zu lassen! Wer hat Euch das gelernt, Sir?“
    „Der Zufall, der mir einen halbwilden ungarischen Pußtenhengst, der niemand aufsitzen lassen wollte, zwischen die Beine gab. Ich habe ihn nach und nach bezwungen, dabei aber fast das Leben riskiert.“
    „Danke für solche Kreaturen! Da lobe ich mir meinen alten Polsterstuhl, der nichts dagegen hat, wenn ich mich auf ihn setze. Kommt, wir wollen gehen. Es ist mir ganz schwindelig geworden. Aber umsonst habe ich Euch nicht schießen und reiten sehen; darauf könnt Ihr Euch verlassen.“
    Wir gingen nach Hause, er zu sich und ich in meine Wohnung. Während dieses und der beiden nächsten Tage ließ er sich nicht sehen, und ich hatte auch keine Gelegenheit, ihn aufzusuchen; aber am darauffolgenden Tag kam er des Nachmittags zu mir; er wußte, daß ich da frei hatte.
    „Habt Ihr Lust, einen Spaziergang mit mir zu machen?“ fragte er.
    „Wohin?“
    „Zu einem Gentleman, der Euch gern kennenlernen will.“
    „Warum mich?“
    „Das könnt Ihr Euch doch denken: weil er noch kein Greenhorn gesehen hat.“
    „So gehe ich mit; er soll uns kennenlernen.“
    Henry machte heut so ein pfiffiges, unternehmendes Gesicht, und wie ich ihn kannte, hatte er irgendeine Überraschung vor. Wir schlenderten durch einige Straßen und dann führte er mich in ein Büro, in welches von der Straße aus eine breite Glastür führte. Er nahm den Zutritt so schnell, daß ich die goldenen Lettern, welche auf den Glasscheiben standen, nicht mehr
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