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01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I
Autoren: Karl May
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stolzer, kühner, tapferer, wahrheitsliebender, aufrichtiger und seinen Freunden stets treuer Jägersmann, ein heimlich schleichender, mißtrauischer, lügnerischer Mensch geworden, ohne daß er dafür kann, denn nicht er, sondern der Weiße ist schuld daran.
    Die wilden Mustangherden, aus deren Mitte er sich einst kühn sein Reitpferd holte, wo sind sie hingekommen? Wo sieht man die Büffel, welche ihn ernährten, als sie zu Millionen die Prärien bevölkerten? Wovon lebt er heut? Von dem Mehl und dem Fleisch, welches man ihm liefert? Schau zu, wieviel Gips und andere schöne Dinge sich in diesem Mehl befinden; wer kann es genießen! Und werden einem Stamm einmal hundert ‚extra fette’ Ochsen zugesprochen, so haben diese sich unterwegs in zwei oder drei alte, abgemagerte Kühe verwandelt, von welchen kaum ein Aasgeier einen Bissen herunterreißen kann. Oder soll der Rote vom Ackerbau leben? Kann er auf eine Ernte rechnen, er, der Rechtlose, den man immer weiter verdrängt, dem man keine bleibende Stätte läßt?
    Welch eine stolze, schöne Erscheinung war er früher, als er, von der Mähne seines Mustangs umweht, über die weite Savanne flog, und wie elend und verkommen sieht er jetzt aus in den Fetzen, welche nicht seine Blöße decken können! Er, der in überstrotzender Kraft einst dem schrecklichen grauen Bären mit den Fäusten zu Leibe ging, schleicht jetzt wie ein räudiger Hund in den Winkeln umher, um sich, hungrig, einen Fetzen Fleisch zu betteln oder zu – stehlen!
    Ja, er ist ein kranker Mann geworden, ein – sterbender Mann, und wir stehen mitleidig an seinem elenden Lager, um ihm die Augen zuzudrücken. An einem Sterbebett zu stehen, ist eine ernste Sache, hundertfach ernst aber, wenn dieses Sterbebett dasjenige einer ganzen Rasse ist. Da steigen viele, viele Fragen auf, vor allem die: Was hätte diese Rasse leisten können, wenn man ihr Zeit und Raum gegönnt hätte, ihre inneren und äußeren Kräfte und Begabungen zu entwickeln? Welche eigenartigen Kulturformen werden der Menschheit durch den Untergang dieser Nation verlorengehen? Dieser Sterbende ließ sich nicht assimilieren, weil er ein Charakter war; mußte er deshalb getötet, konnte er nicht gerettet werden? Gestattet man dem Bison, damit er nicht aussterbe, ein Asyl da oben im Nationalpark von Montana und Wyoming, warum nicht auch dem einstigen, rechtmäßigen Herrn des Landes einen Platz, an dem er sicher wohnen und geistig wachsen kann?
    Aber was nützen solche Fragen angesichts des Todes, der nicht abzuwenden ist! Was können Vorwürfe helfen, wo überhaupt nicht mehr zu helfen ist! Ich kann nur klagen, aber nichts ändern; ich kann nur trauern, doch keinen Toten zurück ins Leben rufen. Ich? Ja, ich! Habe ich doch die Roten kennengelernt während einer ganzen Reihe von vielen Jahren und unter ihnen einen, der hell, hoch und herrlich in meinem Herzen, in meinen Gedanken wohnt. Er, der beste, treueste und opferwilligste aller meiner Freunde, war ein echter Typus der Rasse, welcher er entstammte, und ganz so, wie sie untergeht, ist auch er untergegangen, ausgelöscht aus dem Leben durch die mörderische Kugel eines Weißen. Ich habe ihn geliebt wie keinen zweiten Menschen und liebe noch heut die hinsterbende Nation, deren edelster Sohn er gewesen ist. Ich hätte mein Leben dahingegeben, um ihm das seinige zu erhalten, so wie er dieses hundertmal für mich wagte. Dies war mir nicht vergönnt; er ist dahingegangen, indem er, wie immer, ein Retter seiner Freunde war; aber er soll nur körperlich gestorben sein und hier in diesen Blättern fortleben, wie er in meiner Seele lebt, er, Winnetou, der große Häuptling der Apachen. Ihm will ich hier das wohlverdiente Denkmal setzen, und wenn der Leser, welcher es mit seinem geistigen Auge schaut, dann ein gerechtes Urteil fällt über das Volk, dessen treues Einzelbild der Häuptling war, so bin ich reich belohnt.
    Der Verfasser

ERSTES KAPITEL
    Ein Greenhorn
    Lieber Leser, weißt du, was das Wort Greenhorn bedeutet? – – – eine höchst ärgerliche und despektierliche Bezeichnung für denjenigen, auf welchen sie angewendet wird.
    Green heißt grün, und unter horn ist Fühlhorn gemeint. Ein Greenhorn ist demnach ein Mensch, welcher noch grün, also neu und unerfahren im Lande ist und seine Fühlhörner behutsam ausstrecken muß, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen will, ausgelacht zu werden.
    Ein Greenhorn ist ein Mensch, welcher nicht von seinem Stuhl aufsteht, wenn eine Lady sich
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