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0093 - Vlado - der Schreckliche

0093 - Vlado - der Schreckliche

Titel: 0093 - Vlado - der Schreckliche
Autoren: Franc Helgath
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Sonnenstrahlen drangen nie in diese Tiefen, und offenbar konnten nur sie diesem Wesen gefährlich werden.
    »Mein irdischer Tod?«, murmelte Vlado mehr zu sich selbst und lauschte dabei noch dem Klang von Nicoles Frage nach. »Ich spreche nicht gerne darüber.«
    »Aber Sie waren doch nicht von allem Anfang an ein Ghul«, gab Nicole zu bedenken. »Sie erzählten mir, Sie wären geboren worden, wie jeder andere Sterbliche auch. Sie hatten einen Vater, einen Großvater, Onkel und Tanten. Sind auch sie alle Ghuls?«
    Vlado schüttelte seinen hageren Schädel.
    »Waren sie nicht. Nein. Auch wenn sie dann und wann abrutschten. Erst als ich bemerkte, dass Menschenfleisch die einzig mögliche Nahrung für mich war. Soll ich Ihnen von meinen Lieblingsrezepten berichten?«
    Nicole schauderte und wehrte schnell ab.
    »Dann eben nicht«, murrte der Leichenfürst und zuckte mit den mageren Schultern. »Sie werden das alles noch kennen lernen. Morgen bei unserem großen Festschmaus. - Beim Satan! Ich habe mich verplaudert!«
    Nicole schrak zusammen. Sie versuchte, sich ihre Bestürzung nicht anmerken zu lassen. Sie legte dem Ghul beruhigend eine Hand auf den Unterarm. »Die Nacht ist noch jung«, sagte sie. »Wir haben unendlich viel Zeit. Ich möchte alles über Sie erfahren. Kann ich mit Ihrer Hilfe wirklich die Unsterblichkeit erringen?«
    »Nur mit meiner Hilfe«, antwortete Vlado selbstbewusst und warf sich in die knochige, dürre Brust. »Ich habe Ihnen das bereits erzählt, Mademoiselle. Wir sollten mit den Riten beginnen.«
    »Sofort«, sprudelte Nicole heraus. »Vorher möchte ich nur mehr wissen, wie es kam, dass Sie unsterblich wurden. Bitte!«
    Nicole war in dieser Nacht eine miserable Schauspielerin, doch Vlado bemerkte nichts davon. Er maß in anderen Maßstäben, und er hatte vor allem nicht versucht, in Nicoles Gedanken einzudringen. Vielleicht war er trunken von ihrer Schönheit, von der Aussicht, sie bald für immer an seiner Seite zu haben. Jedenfalls hatte er eine perfide und kaum zu schildernde Form des Vertrauens zu ihr gefasst.
    Trotz all seiner Macht schien Vlado arglos. Er ließ sich täuschen, und das war bereits mehr, als Nicole hatte erwarten dürfen.
    Vlado hatte ihr in der Tat geschildert, wie er sie zur Ghul machen würde. Der Aufwand war Anbetrachts der späteren Wirkung gering. Nicole brauchte nur einen Becher seines Blutes bis zum Grund zu leeren. Das sei schon alles.
    Durch ihr geschicktes Frage- und Antwortspiel hatte Nicole diesen Moment hinausgezögert. Doch irgendwann musste selbst dieser selbstsüchtige und eitle Dämon dahinterkommen, dass sie ihn nur von seinem eigentlichen Vorhaben ablenkte. Wenn er auch damit herausgerückt war, wie er einst zu Tode kam und zum echten Ghul wurde, waren Nicoles letzte Fragen ausgegangen.
    Der Blutfürst starrte sinnend auf die leere Tischplatte vor ihnen. Er hatte die Finger ineinander verschränkt.
    »Es war vor 520 Jahren«, begann er und mahlte mit seinen abgeflachten Kieferplatten, die jeden Knochen im Nu knirschend brachen und zerrieben. »Ich hatte fünfzig Winter erlebt. Wie herrlich zitterte das Land unter meiner Knechtschaft.« Die Erinnerung an jene Zeiten ließen ihn kurz verstummen. Der dürre Körper Vlados bebte, als er in seinen Erinnerungen schwelgte. »Es war ein wunderbares Leben.«
    »Sie waren damals schon ein Ghul? Ich meine, Sie waren schon -hm - unsterblich.«
    Vlado nickte ernst.
    »Ich war es bereits, auch wenn ich es nicht wusste. Es wurde mir erst später offenbart. Ich verbrachte einige Wochen im Zwischenreich. Dort gibt es viele meiner Brüder. Nur ist den wenigsten vergönnt, auch weiterhin ihre Opfer auf der Welt, in der sie lebten, suchen zu dürfen.«
    »Und wie kommt es, dass Sie…«
    »Sie sollten mich jetzt nicht mehr unterbrechen, Mademoiselle. Ich erzähle Ihnen kurz noch, wie es mir ergangen ist, und dann gebe ich Ihnen den Becher zu trinken.«
    Nicole seufzte ergeben und schwieg.
    Fast sechs Uhr.
    »Eine meiner Gefangenen war fast noch ein Kind«, fuhr Vlado bedächtig fort. »Ein seltsames Kind, fürwahr. Erst viel später habe ich erfahren, dass es den Keim eines wirklichen Ghuls in sich trug. Der Keimling des Ghuls lebt in mir weiter. Ich trage ihn in mir, und ich kann ihn weitergeben. Dieses Kind war nicht tot nach eueren irdischen Begriffen. Es ist heute noch nicht tot. Es lebt. Es lebt in mir.«
    Fürst Vlado zog seine Hände zurück und ballte sie zu Fäusten.
    »Dann kam der Tag, an dem die Dörfler mich,
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