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0093 - Vlado - der Schreckliche

0093 - Vlado - der Schreckliche

Titel: 0093 - Vlado - der Schreckliche
Autoren: Franc Helgath
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diesem Privileg mache ich jetzt Gebrauch. Vermutlich hast du eine schauderhafte Geschichte auf Lager. Aber ich liebe schauderhafte Geschichten.« Sie grinste spitzbübisch. »Vor allem dann, wenn sie Geschichten bleiben und nicht in Aktionen ausarten. Gott sei Dank liegt ja der Eiserne Vorhang zwischen dir und dieser Ruine, die man von hier aus nicht einmal sehen kann.«
    Nicoles Befürchtungen hinsichtlich eventueller ›Aktionen‹ waren nicht unbegründet. Professor Zamorra zählte nicht nur zu den Koryphäen der Grenzwissenschaften und der Dämonologie. Er griff auch aktiv in das Geschehen ein, wenn die Umstände es erforderten. Nach dem Geschmack Nicole Duvals geschah das viel zu oft. Deshalb freute sie sich so über die undurchdringliche Grenze, die es Zamorra nicht erlaubte, zur Burgruine des ›Leichenfürsten‹ vorzustoßen, ohne umständliche Visa-Anträge und sich endlos hinziehende Wartezeiten in Kauf nehmen zu müssen. Nicht zuletzt aus diesem Grund war sie so putzmunter. Nicoles sprühend gute Laune wirkte ansteckend auf Professor Zamorra. Sein Lächeln wurde noch breiter und wärmer, herzlicher. Aus ihm war abzulesen, dass er die hübsche junge Frau auf der anderen Seite des Tisches nicht nur als Mitarbeiterin schätzte.
    »Dann hoffe ich, dass dein Magen die Geschichte von Vlado, dem Leichenfürsten, verträgt. Sie ist tatsächlich etwas blutrünstig.«
    Eine dralle Bedienung kam und räumte den Tisch ab.
    »Wünschen die Herrschaften noch etwas?«, fragte sie in lustigem Französisch.
    Zamorra sah Nicole fragend an. »Es ist kühl«, meinte die kapriziöse junge Frau. »Wir könnten etwas zum Aufwärmen gebrauchen. Wie heißt dieser ekelhafte Schnaps doch gleich wieder, der nach dem dritten Glas so herrlich schmeckt?«
    »Zweimal Bärwurz«, orderte Professor Zamorra grinsend.
    Sie waren schon vor zwei Tagen im ›Sonnenhof‹ eingetroffen und gleich am ersten Abend auf die ›Ureinwohner‹ vom Stammtisch gestoßen. Männer mit Muskeln und rotblonden Andreas-Hofer-Bärten, die ungeheuer laut und ungeheuer nett waren. Sie hatten darauf bestanden, dass sie vom Bayerwald-Nationalgetränk, dem Bärwurz-Schnaps, kosteten. Zusammen mit Bier getrunken hinterließ er im Gaumen den leicht bitter-herben Nachgeschmack von frischgepflückten Walnüssen. Man konnte sich daran gewöhnen.
    Nicole hatte entgegen ihrer Gewohnheit, harte Drinks zu sich zu nehmen, fünf Gläser getrunken und anschließend Professor Zamorra eine wunderbar turbulente Nacht beschert. Von da ab mochte Zamorra den ›Bärwurz‹ auch.
    Sie tranken den eisgekühlten Klaren aus dem Süden und spürten die Wärme, die sich wohlig in ihrem Magen ausbreitete.
    »Wir könnten noch ein paar Schritte Spazieren gehen, während du mir die Geschichte erzählst«, schlug Nicole vor und erhob sich schon vom Tisch. Zamorra blieb gar nichts anderes übrig, als es ihr gleichzutun.
    Er sah auf die Uhr.
    Kurz vor elf.
    Eine Stunde hatten sie noch Zeit. Vor zwölf Uhr würde der Mittelsmann von SWOBODA nicht auftauchen.
    ***
    Professor Zamorra und Nicole hatten den Höhenweg genommen, der über dem ›Sonnenhof‹ den Geißberg entlang führte. Unten im Tal lag Bayerisch Eisenstein, ein schmuckes Dorf, das in den letzten Jahren dank des angekurbelten Fremdenverkehrs einen ungeahnten Aufschwung erlebt hatte, ohne deshalb zu einem Touristen-Getto zu werden. Noch dominierte die Zahl der Einwohner über die der Fremdenbetten.
    Nicole schaute hinüber auf die böhmische Seite, auf die Maschendrahtverhaue, geeggten Sandstrecken und die hölzernen Wachtürme mit den Schießscharten. Die Häuser von Zelezná Ruda lagen geduckt wie hingekauerte, ferne, weiße Schafe im Tal. Rauch kräuselte aus den Schornsteinen.
    »Wo soll diese Ruine denn sein?«, fragte Nicole.
    »Auf der anderen Seite der Seewand auf einem vorgeschobenen Hügel. Er ragt über einen größeren, halb versumpften Weiher hoch.«
    »Und wie lange willst du mich wegen dieses Leichenfürsten noch auf die Folter spannen?«
    Bedächtig zog Professor Zamorra eine schwarze Zigarette aus seinem Anorak und steckte sie im Schutz der vorgehaltenen hohlen Hand in Brand. Erst der dritte Versuch klappte. Hier wehte der Wind noch schärfer und eisiger.
    »Rund sechshundert Jahre ist es jetzt her«, meinte er endlich, und sein Blick bekam einen Ausdruck, als würde er weit in die Vergangenheit zurückblicken. »Sein Nachname ist nicht überliefert. In den alten Chroniken taucht er immer nur als Fürst Vlado auf.
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