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006 - Der lebende Leichnam

006 - Der lebende Leichnam

Titel: 006 - Der lebende Leichnam
Autoren: Peter Randa
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Morgen.
     
     

     
     
    Nachdem ich in meinen Körper geschlüpft bin, setze ich mich ans Steuer und fahre los in Richtung Malesherbes.
    Ich will nach Montargis und von dort auf die Schnellstraße. Beim Fahren überlege ich. Das Verlassen meines Körpers ist eine phänomenale Kombination aus Telekinese und Levitation.
    Ich entlasse meinen Geist aus meinem Körper und dirigiere ihn mit Hilfe meines Willens. Auf jeden Fall glaube ich, dass ich mit dieser neuen Fähigkeit keinen Missbrauch treiben darf. Ich muss während der Fahrt den Rückspiegel wieder richtig einge
    stellt haben und sehe darin nun mein Gesicht. Seit ich das letzte Mal mein Spiegelbild erblickt habe, scheine ich noch mehr gealtert zu sein.
    Keinen Missbrauch damit treiben, bevor ich ein Mittel gefunden habe, die verbrauchte Energie zu ersetzen. Das müsste doch möglich sein. Sicher gibt es ein Mittel, aber leider verfüge ich über zu geringe wissenschaftliche Kenntnisse.
    Ich brauche einen Wissenschaftler. Eine ähnliche Type wie Marlat. Aber es genügt auch, wenn ich einen Arzt finde und seine Gedanken beeinflusse. Ich werde ihn bitten, mich zu behandeln, das heißt, ich werde das Wissen, das ich brauche, um mir zu helfen, aus seinen Gedanken ziehen.
    Wenn ich erst im Süden bin, suche ich mir ein kleines entlegenes Dorf und lasse mich behandeln. Ich werde meine Fragen telepathisch stellen, und der Arzt wird mir ohne sein Wissen aus dem Unterbewusstsein antworten.
    Wenn die Kenntnisse eines Landarztes nicht ausreichen, wende ich mich auf die gleiche Weise an die berühmtesten Kapazitäten der Medizin.
     

     
    Plötzlich kommt mir die Erleuchtung. Ich brauche keinen Arzt oder Wissenschaftler. Mein Instinkt müsste genügen, natürlich. Logisch. Da ich einer neuen Rasse von Lebewesen angehöre, hat mein Körper zwangsläufig auch andere Bedürfnisse. Warum ist mir das eigentlich nicht schon früher eingefallen?
    Ich bin mir noch nicht ganz sicher, was mein Körper nun braucht, aber die Tatsache, dass ich mich nicht davor ekle, beweist mir, dass ich wahrscheinlich richtig geraten habe: ich brauche Menschenblut.
    Ich müsste meine Energieverluste kompensieren können, indem ich wie ein Vampir Blut trinke. Meine Gier danach wächst, steigert sich ins Unermessliche.
    In dem Restaurant an der Porte d’Italie hatte ich mir ein wahres Festessen zusammengestellt. Alles, was mir, wie ich glaubte, schmecken würde, aber dann musste ich mich sogar zwingen, ein paar Bissen davon zu essen. Ich führte das auf den Artikel in France-Soir zurück, doch das war ein Irrtum.
    Diese Art von Nahrung kommt für mich nicht mehr in Frage. Mein Stoffwechsel hat sich von Grund auf geändert, und plötzlich fällt mir wieder ein, welche Gier mich erfasste, als ich das Blut aus der Wunde des Chauffeurs fließen sah.
    Mein Drang zu töten hat nichts mit Irrsinn zu tun, wie Marlat glaubt. Ich habe Lust zu morden, weil ich von nun an gezwungen bin zu morden, um zu überleben.
    Plötzlich verspüre ich Appetit auf Blut. Auf frisches, warmes, lebendiges Blut. Einen Augenblick lang überlege ich, ob ich das Taxi wenden und zu dem toten Chauffeur zurückfahren soll. Nein, sein Blut ist jetzt nicht mehr frisch genug für mich.
     

     
    Plötzlich reiße ich erschrocken das Steuer herum. Fast wäre ich gegen einen Baum gefahren. Ich muss einen Augenblick eingeschlafen sein.
    Ich fluche laut vor mich hin. Es ist höchste Zeit, dass ich mich ausruhe. Meine Glieder sind so schwer wie Blei. Zum Glück komme ich gleich nach Montargis. Eigentlich brauchte ich mich gar nicht so zu beeilen, jetzt nachdem ich meine Spur verwischt habe.
    Ich lasse das Taxi am Stadtrand stehen. Die Straßen sind verlassen. Es kostet mich ungeheure Anstrengung, zu Fuß weiterzugehen. Ich träume von einem Bett. Eine Straße. Ich biege nach links, dann gelange ich auf einen Platz mit einem Denkmal.
    Endlich ein Hotel in Sicht. Ich beschleunige meine Schritte. Die Tür ist geschlossen, aber durch die Glasscheibe sehe ich einen Lichtschein. Ich drücke auf die Klingel.
    Kurz darauf höre ich schlurfende Schritte. Die Tür öffnet sich. Ein Nachtportier mit verschlafenem Gesicht sieht mich fragend an.
    »Ein Zimmer.«
    Da er einen Augenblick zögert, weil ich kein Gepäck dabei habe, und vielleicht auch wegen meines seltsamen Blicks, dringe ich rasch in seine Gedanken ein und befehle ihm, mir ein Zimmer zu geben.
     

     
    Ich erwache. Ich habe geschlafen wie ein Stein, ohne die Vorhänge zugezogen zu haben, so
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