Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0057 - Finger weg von solchen Sachen

0057 - Finger weg von solchen Sachen

Titel: 0057 - Finger weg von solchen Sachen
Autoren: Helmut Kobusch
Vom Netzwerk:
wir bei ihm klopften. Wir traten ein.
    Auf einem Tischchen in einer Ecke des großen Zimmers stand ein Mittagessen, das bis jetzt unberührt geblieben war. Mr. High saß hinter seinem Schreibtisch und betrachtete mit einem Gesichtsausdruck, den ich genau kannte, einen Stapel von großen Fotos.
    Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Da sah ich, daß kleine glitzernde Schweißperlen darauf standen.
    »Setzt euch«, sagte er, und seine Stimme klang heiser.
    Wir ließen uns in die Sessel vor seinem Schreibtisch fallen. Keiner von uns beiden sprach ein Wort.
    Mr. High war gelb im Gesicht, ein ungesundes, fast grünliches Gelb. Wortlos öffnete er einen kleinen Wandschrank und brachte drei Gläser und eine Whiskyflasche zum Vorschein. Er stellte zwei Gläser vor uns hin. Ins dritte kippte er sich eine stramme Portion puren Whisky. Mit einem scharfen Ruck kippte er das Zeug hinunter.
    Phil und ich sahen uns an. Wir waren erschrocken wie noch nie. Seit Jahren kannten wir Mr. High. Seit Jahren wußten wir, daß er noch nie einen Schluck Whisky angerührt hatte. Und jetzt…?
    Mr. High ging wieder zurück zu seinem Schreibtisch. Sein Gang war merkwürdig steif. Mit einer Gebärde, die vor Ekel zitterte, schob er uns den Stapel Fotos zu.
    Ich legte meine Hand auf die Bilder und zögerte. Mein Blick traf sich mit dem meines Chefs. Seine Augen schimmerten feucht. Er räusperte sich und drehte sich schroff um.
    Ich schluckte und riß mir die Bilder mit einem Ruck heran. Als mein Blick auf die oberste Aufnahme fiel, fühlte ich, wie sich mein Magen umdrehte.
    Ich brauchte drei Gläser puren Whisky, und Phil nicht einen Schluck weniger als ich. Dann hatten wir uns die Fotos angesehen. Und ich schwöre Ihnen den heiligsten Eid meines Lebens, daß ich diese Bilder nie vergessen werde, und würde ich hundert Jahre alt.
    Mit zusammengepreßten Lippen schob Phil die Bilder wieder zurück auf den Schreibtisch. Mr. High deckte eine Akte darauf. Wir starrten vor uns hin und atmeten tief. Plötzlich stand Phil auf und verschwand schnell. Erst nach ein paar Minuten kam er zurück, kreidebleich. Mit dem Taschentuch wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
    »Das — das ist das Viehischste, was ich je gesehen habe«, keuchte ich. »Das geht über meinen Horizont. So etwas gibt es nicht. Kann es nicht geben! Das ist doch nicht wahr!«
    Mr. Highs Stimme war kaum zu hören, so leise kam sie über seine Lippen.
    »Es sind die authentischen Fotos der Mordkommission. Kay wurde so gefunden, wie es auf den Bildern zu sehen ist…«
    Wir schwiegen. Was gab es da noch zu sagen? Draußen schien eine warme Herbstsonne. Das Büro war sogar etwas überheizt.
    Aber wir froren bis in unsere Seele hinein.
    Phil griff zur Whiskyflasche. Er goß sein Wasserglas gestrichen voll und setzte es erst wieder ab, als kein Tropfen mehr darin war. Ich machte es nach, aber das half nichts.
    Ruhelos ging ich auf und ab. Mr. High trommelte mit seinen schlanken Fingern auf die Schreibtischplatte.
    »Ich muß immer daran denken, daß es jetzt, in dieser Sekunde, bei einem fünften Kind vielleicht wieder passiert«, murmelte er mit einer Stimme, die nicht mehr seine Stimme war.
    »Hören Sie doch auf damit, verdammt noch mal!« schrie Phil.
    Er hatte sein Wasserglas in der Hand zerdrückt. Die Splitter fielen klirrend auf den Boden. Blut rann über seine Finger.
    Ich fischte mir eine Zigarette aus dem Päckchen und schob sie angeraucht zwischen Phils Lippen. Er sog den Rauch tief in seine Lungen. Mr. High drückte auf die Sprechtaste seines Vorzimmermikrofons und sagte: »Bitte, den Arzt!«
    Unser Doc kam und verband Phils Hand. Er sah nur auf unser Gesicht und verstand sofort. Er sagte nicht ein Wort, als er Phil mit einer Pinzette die letzten Splitter aus der Haut zog und die Hand verband. Bis der Arzt schweigend wieder verschwunden war, fiel in dem Raum nicht ein Wort.
    Das Zufallen der Tür dröhnte uns überlaut in den Ohren.
    »Wenn ich nur wüßte, was wir tun können…«, murmelte Mr. High nach einer Weile. Seine Finger spielten zögernd an dem Aktendeckel, unter dem die authentischen Aufnahmen der Mordkommission lagen. Jedes Bild trug auf der Rückseite eine Nummer und die Aufschrift:
    Mordkommission des Schwerverbrecherdezernats der Stadtpolizei Neiu York, Mordsache: Babykiller Jackson.
    Aber Mr. High zögerte, die Bilder noch einmal aufzudecken. Es konnte auch niemand von uns verlangen, sie noch einmal anzusehen. So etwas vergißt man ohnehin nicht wieder,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher