Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
005 - Die Melodie des Todes

005 - Die Melodie des Todes

Titel: 005 - Die Melodie des Todes
Autoren: Edgar Wallace
Vom Netzwerk:
Gilbert hauptsächlich die Stellung zu verdanken, die er jetzt bekleidete. Mehr noch, er hatte ihn zu seinem Erben gemacht, und da er ein Mann war, der nichts im geheimen tat, sondern eher zu Geschwätzigkeit neigte, verbreitete sich die Nachricht von Gilberts Glück von einem Ende Englands zum andern.
    Dann war - einen Monat, bevor diese Geschichte beginnt - wie eine Bombe eine kurze Mitteilung von seinem Verwandten eingetroffen, er habe es für gut befunden, die Bestimmungen seines Testamentes zu ändern; Gilbert solle mit nicht mehr als den tausend Pfund rechnen, die ihm wie unzähligen andern Neffen als Pflichtteil zustünden.
    Es bedeutete für Gilbert keinen harten Schlag; nur war er ein wenig bekümmert, weil er fürchtete, er habe auf irgendeine Weise seinen hitzigen Onkel gekränkt. Er schätzt die Güte des alten Mannes zu hoch ein, als daß er ihm seine Absonderlichkeit, wenn sie ihn auch zu einem verhältnismäßig armen Mann machte, übelgenommen hätte.
    Es hätte den Verlauf seines Lebens wesentlich geändert, wenn er wenigstens einen Menschen von der Veränderung seiner Aussichten verständigt hätte.

3
    Gilbert zog sich eben für den Abend um, als das Gewitter über London gezogen kam. Es hatte noch nichts von seiner unheimlichen Stärke eingebüßt. Eine Stunde lang durchzuckte das blaue Licht der elektrischen Entladungen die Straße, und das Haus bebte unter den unaufhörlichen Donnerschlägen.
    Seine Stimmung stand im Einklang mit diesem Aufruhr der Elemente. Äußerlich allerdings war ihm nichts von seiner Qual anzusehen. Das Gesicht, das er im Rasierspiegel sah, war eine unbewegliche Maske.
    Er schickte seinen Diener nach einem Taxi. Das Unwetter war über London hinweggezogen, und als er auf die vom Regen reingewaschene Straße hinauskam, war nur noch dumpfes Donnergrollen vernehmbar. Einige windgepeitschte Wolkenbündel fegten in schneller Fahrt den Himmel entlang, um in rasender Eile ihr Hauptheer einzuholen.
    An der Tür des Hauses Nr. 274 Portland Square stieg er langsam und zögernd aus dem Wagen. Er hatte sich einer unangenehmen Aufgabe zu entledigen, ebenso unangenehm, ja sicher noch unangenehmer für ihn, als es für seine künftige Schwiegermutter sein mochte.
    Er zweifelte nicht daran, daß der Verdacht, der durch Leslie in ihm entstanden war, grundlos sei.
    Im Empfangszimmer, in das er geleitet wurde, war kein Mensch. Er blickte auf seine Uhr.
    »Bin ich noch sehr früh dran, Cole?« fragte er den Diener.
    »Ja, ziemlich früh, Sir«, erwiderte der Mann, »aber ich werde Fräulein Cathcart melden, daß Sie hier sind.«
    Gilbert nickte; er schlenderte zum Fenster und schaute, mit den Händen auf dem Rücken, auf die nasse Straße hinaus. So stand er wohl fünf Minuten und hielt in Gedanken versunken seinen Köpf auf die Brust gesenkt. Das öffnen der Tür ließ ihn auffahren; er wandte sich um, das Mädchen zu begrüßen, das eingetreten war.
    Edith Cathcart war eine der schönsten Frauen Londons, obwohl die Bezeichnung ›Frau‹ zu würdevoll klingen mochte für dieses schlanke Mädchen, das kaum der Schule entwachsen war.
    Ihre eigentümlich grauen Augen hatten einen unruhigen Ausdruck, der für ihr ganzes Wesen bezeichnend schien. Tiefschwarze Haare und ein ausdrucksvoller Mund verliehen ihrem Gesicht einen Zug rassiger Schönheit. Sie trug ein einfaches Abendkleid und nur einige ganz kleine Schmuckstücke.
    Mit raschen Schritten ging er auf sie zu und nahm ihre beiden Hände in die seinen.
    »Du siehst reizend aus heute abend, Edith«, sagte er mit kaum hörbarer Stimme. Sie löste sanft ihre Hände und lächelte ihn freundlich an.
    »Hast du deinen Derbytag genossen?« fragte sie. »Es war äußerst interessant«, erwiderte er; »merkwürdig, daß ich früher noch nie dabei war.«
    »Du hättest dir keinen schlimmeren Tag aussuchen können. Bist du in das Gewitter hineingeraten? Hier war es schrecklich.« Sie sprach rasch, mit einem kleinen fragenden Ton am Ende jedes Satzes. Man hatte den Eindruck, sie wünsche mit ihrem Bräutigam auf gutem Fuß zu stehen, habe aber eine gewisse Scheu vor ihm. Sie war wie ein Kind darauf bedacht, ihre Aufgabe gut zu erledigen; und dann und wann merkte man ihr ein Gefühl der Erleichterung an, wie bei jemandem, der wieder ein Hindernis überwunden hat.
    Gilbert war sich stets der Spannung bewußt, die sich in ihren Beziehungen ausdrückte. Ein dutzendmal am Tage sagte er sich, es sei unglaublich, daß es eine solche Gezwungenheit geben könne.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher