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0017 - Wolfsnacht

0017 - Wolfsnacht

Titel: 0017 - Wolfsnacht
Autoren: Michael Kubiak
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gesamten Körper verteilte.
    Zamorra stieg aus und schaute an den von Weinranken überwucherten Hausmauern empor. Er hatte das Gefühl, vor einem Totenhaus zu stehen. Entschlossen betätigte er die altmodische Klingel.
    Sie schepperte laut und vernehmlich durch das Gebäude.
    Doch nichts rührte sich hinter der verriegelten Tür. Keine Schritte klangen, keine Tür klappte.
    Zamorra versuchte es nochmals, wartete einen Augenblick und setzte sich dann wieder in seinen Wagen. Er wendete und fuhr zurück zur Polizeistation.
    »Nichts«, sagte er beim Eintreten. »Unser Herr Doktor ist nicht da. Wer weiß, wo der sich aufhält.«
    Von den letzten Worten des Sterbenden erzählte er dem Polizisten nichts. Die behielt er für sich. Denn erstens würde ihm wahrscheinlich ohnehin keiner glauben, und außerdem waren die Menschen hier sowieso machtlos, falls es sich wirklich um Übersinnliches handeln sollte. Da gab sich Zamorra die größeren Chancen.
    »Da kann man nichts machen«, meinte Diani gleichgültig. »Auch kann ich wohl kaum meine Beamten aus den Betten trommeln. Die würden mir etwas anderes erzählen. Wir sind hier auf dem Land, Signore. In der Stadt mag das anders sein, doch hier sind die Menschen zu bequem. Am besten wäre es, Sie gingen jetzt zu Bett. Ruhen Sie sich aus. Morgen werden wir weitersehen.«
    »Wird wohl wirklich das beste sein«, gab Zamorra ihm recht.
    »Doch eine Frage noch – was haben Sie mir verheimlicht? Hier sind schon früher Wölfe aufgetaucht – Werwölfe – nicht wahr?«
    Diani wurde totenblaß. Seine Stimme war schrill.
    »Gehen Sie, Signore, gehen Sie. Ich kann Ihnen nichts sagen. Ich darf es nicht.«
    Er drängte Zamorra zum Ausgang. Der Professor leistete keinen Widerstand, denn er sah ein, daß er aus diesem Mann nichts mehr herausholen würde. Also gab er es auf. Jetzt war er ganz auf sich allein gestellt.
    Doch ehe er sich zur Ruhe legte, wollte er sich noch Gewißheit verschaffen. Darum lenkte er seinen Wagen zum Rathaus.
    Auf sein Klopfen hin öffnete Carlo Gionti das schmiedeeiserne Tor.
    »Hallo, Professor, was machen Sie denn so spät hier?« Zamorra erklärte ihm mit kurzen, knappen Worten, was er erlebt hatte. Gionti strich sich mit der Hand über das Kinn.
    »So ist das also. Dann hatten meine Berechnungen doch recht. Ich habe nämlich einmal überschlagen, wann sich der Fluch erfüllen könnte. Und dabei bin ich bei diesem Jahr stehengeblieben. Da diese Dämonenverbrennung damals auch im Sommer stattgefunden hat, haben wir nicht mehr allzuviel Zeit zu verlieren. ›Medico‹ hatte Tonio vor seinem Tode noch flüstern können? Ich hatte es geahnt. Ein Geheimnis umgibt diesen Arzt. Niemand weiß, woher er kommt. Bekannte oder Verwandte hat er in diesem Ort nicht. Ja, es scheint fast so, als würde er seine ärztliche Hilfe bereits den Generationen vor uns gewährt haben. Doch beweisen kann ich das nicht. Zumindest sollte man ihn im Auge behalten.«
    Zamorra berichtete dem Bibliothekar von seinem Amulett und was er damit im Haus des Arztes hatte spüren können.
    »Und jetzt ist er nicht mehr da. Ich habe an seine Tür getrommelt, doch niemand rührte sich in dem Haus. Auch die Kranke nicht. Vielleicht macht er gerade einen wichtigen Hausbesuch. Möglich wäre es immerhin. Es ist manchmal besser, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Warten wir bis zum Tag, dann erfahren wir sicher mehr.«
    Gionti nickte beipflichtend. Die Männer schüttelten sich die Hände, dann trennten sie sich.
    Der Bibliothekar verriegelte die Tür, und Zamorra fuhr zum Hotel zurück.
    In seinem Zimmer verhielt er sich besonders leise, weil er Nicole nicht in ihrem Schlaf stören wollte.
    Er konnte nicht wissen, daß seine Assistentin unaufhaltsam ihrem Untergang entgegenraste…
    ***
    Leichtfüßig eilte der Wolf mit seiner Beute den Hang hinauf. Fest und sicher hielten die mächtigen Reißzähne das Kleid der Frau. Nicole hing quer vor der Wolfsschnauze und spürte nichts von dem, was mit ihr geschah.
    Zweige und Dornenranken peitschten ihr Gesicht. Einmal schlug sie sogar mit dem Kopf gegen einen Baumstamm.
    Irgendwann erwachte sie aus ihrer Ohnmacht. Sie öffnete die Augen – und stieß einen erstickten Schrei aus. Der Anblick der funkelnden Raubtieraugen, dieser Höllenritt durch den düsteren Wald, die fahlen Lichtreflexe auf dem Waldboden waren zuviel für sie.
    Nicole verkrampfte sich völlig. Riesengroß war ihre Angst, sich zu bewegen. Sie rechnete jeden Moment damit, daß dieses Tier sie
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