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0005 - Der Scharfrichter

0005 - Der Scharfrichter

Titel: 0005 - Der Scharfrichter
Autoren: Horst Friedrichs
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wäre, für den Sie mich halten«, sagte Zamorra eindringlich, »dann würde ich mich Ihnen wohl kaum ausliefern! Sie hätten mich über den Haufen schießen können, und Ihr Knecht kann es jetzt ebenso, wenn Sie ihm die Anweisung geben…«
    Ihr flackernder Blick erfaßte den seinen. Hinter sich hörte er den Mann auf die Flinte zutapsen. Doch er spürte, daß die Frau zu verstehen begann. Sie las in seinen Augen, daß sie Vertrauen zu ihm haben konnte.
    Es dauerte quälend lange Minuten, bis sie endgültig davon überzeugt war.
    Der Knecht hielt die Schrotflinte bereits in den mächtigen Fäusten.
    »Laß sein, George«, murmelte die Frau.
    Professor Zamorra lächelte. Er sagte der Frau des toten Farmers, wer er war und weshalb er gekommen war. Sie zweifelt nicht mehr an seinen Worten.
    Im Haus erzählte sie ihm alles, was sie gesehen hatte.
    Für Zamorra war es wie eine Bestätigung seiner schlimmsten Ahnungen. Als er eine Stunde später nach Llangurig zurückfuhr, wußte er, daß er die Reise nach Wales nicht umsonst unternommen hatte.
    Durch den Besitz des Amuletts war er dazu verpflichtet gewesen.
    Vielleicht kam er noch nicht zu spät.
    ***
    Trotz der späten Stunde brannte im Schankraum des Gasthauses noch Licht, als Zamorra zurückkehrte. Der Wirt öffnete ihm die Tür auf sein Klopfen hin. Mit der Polizeistunde nahm man es in dieser Gegend sehr genau.
    Bill Fleming kam freudestrahlend von seinem Tisch hoch, als er den Professor erblickte. Er begrüßte Zamorra mit einem spontanen Schlag auf die Schulter.
    »Wie ich sehe«, rief er, »ist es mir gelungen, dich aus deinem verträumten Gemäuer hervorzulocken! New York vermißt dich sehr, mein Lieber! Du solltest dich bald mal wieder am Hudson sehen lassen!«
    Der junge Wissenschaftler war voller Elan und Tatendrang wie eh und je.
    Zamorra bremste seinen Wortschwall mit einer Handbewegung.
    »Konzentrieren wir uns auf unsere augenblickliche Umgebung, Bill. Alles andere ist im Moment unwichtig.«
    Fleming runzelte die Stirn.
    »Du hast einiges auf Lager«, stellte er fest, »ich bin mächtig gespannt.«
    Sie ließen sich an dem Tisch nieder, wo Nicole bei einem Glas Porter saß. Der Wirt zog sich zurück, nachdem er eine Flasche Whisky und einen Porzellankrug mit Wasser serviert hatte.
    »Bill vermißt die Eiswürfel«, bemerkte Nicole, »mit Wasser allein wird ihm der Whisky nicht dünn genug.«
    »Spottet ruhig«, erklärte Fleming, »deshalb halte ich trotzdem an meinen Gewohnheiten fest.«
    Zamorra ging nicht darauf ein. Er nippte an seinem Drink und setzte das Glas ab. Dann berichtete er in knappen Worten über seinen Besuch auf Llangurig Castle und auf der Harding-Farm. Von seinen Vermutungen sprach er indessen nicht. Für Bill Fleming zählten ohnehin nur Fakten.
    »Mit diesem Nachkommen des Scharfrichters würde ich mich gern unterhalten«, meinte er, »allerdings werde ich etwas behutsamer mit ihm umgehen. Was die Farmersfrau angeht, so leidet sie entweder unter Wahnvorstellungen, was nach dem Tod ihres Mannes verständlich ist, oder der Mörder hat einfach dieses blutrünstige Schauspiel inszeniert, um sich an der Angst der Leute zu weiden. Man weiß doch, wie hierzulande der Aberglaube gepflegt wird…«
    »Der Farmer ist freiwillig hinausgegangen«, warf Zamorra ein, »beziehungsweise, er stand unter einem Zwang, der für seine Frau unerklärlich ist.«
    »Professor!« meldete sich Nicole zu Wort. »Meinen Sie nicht auch, daß es der Mörder irgendwie fertiggebracht hat, sein Opfer aus dem Haus zu locken? Von dieser Schauergeschichte über den Scharfrichter hat keine Zeitung berichtet.«
    »Mrs. Harding hat es bewußt verschwiegen«, entgegnete Zamorra, »ebenso wie die Angehörigen der übrigen beiden Opfer. Sie alle fürchten sich vor dem Scharfrichter. Egal, ob er nun existiert oder nicht.«
    »Sicher existiert er«, nickte Bill Fleming, »aber es ist ein Gangster, der sich den ganzen Mummenschanz raffiniert zunutze macht.«
    »Dann dürfte dieser Gangster über erstaunliche Fähigkeiten verfügen«, lächelte Zamorra, »er öffnet Schlösser und Polizeisiegel, ohne sie auch nur im geringsten zu beschädigen. Er holt das Richtschwert aus dem Museum und bringt es wieder zurück. Die Polizeibeamten, die dort Wache halten, merken von allem nichts.«
    Bill und Nicole schwiegen einen Moment lang.
    »Wie sah das Schwert aus?« wollte Fleming schließlich wissen. »Ich meine…« Er zögerte.
    »Nein, es war kein Blut mehr daran«, antwortete Zamorra,
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