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am Abend für kurze Zeit angenommen oder sogar geglaubt hatte. Als sie sich ihren Weg aus dem dunklen Wald hinaus bahnte, bemerkte sie, daß sie wieder zu zittern angefangen hatte. Beim Durchqueren der stillen Halle fragte sie sich, ob das alles nicht bloß mit einer schweren Erkältung enden würde. Das wäre das passende Nachspiel zu ihrer Kapitulation. Sie verachtete sich selbst, weil sie sich nicht umzog und in den Wald zurückkehrte. Sie hatte sich nicht einmal vergewissert, daß die Gäste, die die Halle des K URHUS verlassen hatten, tatsächlich im Wald waren. Sie wußte nur ganz genau, daß ihr auch in ihren dicksten Kleidern der Wald beinah so eisig erscheinen würde, als wäre sie völlig unbekleidet.
    Sie rieb sich mit dem Handtuch ab. Sie ließ sich in dampfend heißes Wasser sinken. Sie ging zu Bett. Sie empfand es als Verrat an sich selbst, daß sie sich wie eine durchschnittliche Frau benommen hatte; sie hatte einen Punkt erreicht, an dem ihr Worte nicht mehr halfen und jenseits dessen sie, wenn sie weitermachte, allein, durchfroren und schutzlos weitergehen müßte. Doch schon bald war sie eingeschlafen – auch ohne besondere Maßnahmen.
     
    Als sie beim Schein der Morgensonne aufwachte (so hoch konnte die Sonne indes zu jeder Tageszeit über den Bergen stehen), wußte sie, daß sie sofort aufbrechen mußte. Wenn kein Taxi zu bekommen war, würde sie zu Fuß den Berg hinunter nach Sovastad gehen und ihr bescheidenes Gepäck Henry hinterlassen, der es nach seiner Rückkehr holen könnte. Zu einem gewissen Zeitpunkt hätte sie etwas dagegen gehabt, daß Henry das K URHUS betrat, doch jetzt spielte es keine Rolle mehr. Sie zog das Kleid an, das sie getragen hatte, als sie angekommen war.
    Es gab keinerlei Einwände. In der Halle hielten sich, wie so oft, keine Gäste auf, aber der junge Schwede, der wie ein Boxer aussah, stand hinter dem Schalter, gab Margarets Paß heraus und versprach, sofort nach einem Taxi zu telephonieren. Er erkundigte sich, ob Margaret Frühstück wolle, schien aber nicht überrascht, als sie ablehnte. Margaret wollte weder Mrs. Slater noch Colonel Adamski begegnen und wußte nicht, auf welche dieser beiden höchst unterschiedlichen Gestalten sie weniger gern träfe. Vielleicht wollte sie am allerwenigsten das zerbrechlich aussehende Mädchen mit den hellblauen Augen sehen, dessen Widerstandsfähigkeit gegen die Kälte selbst in einem dünnen schwarzen Trikot so viel größer zu sein schien als ihre eigene. Der junge Mann an der Rezeption bot nicht an, Henrys Rechnung um die Hälfte zu mindern, er schien nicht einmal der Auffassung zu sein, daß die Angelegenheit überhaupt einer Erwähnung bedurfte.
    Erstaunlich rasch kam das Taxi, und Margaret dirigierte es zu dem vertrauten Hotel in Sovastad. Sie hoffte, daß es nicht ausgebucht sein würde. Ihre Zimmerreservierung galt erst für den Abend des nächsten Tages, wenn Henry zurück sein würde. Beim Blick aus dem Heckfenster des Taxis sah sie die verstreuten weißen Tische auf der verlassenen Terrasse, die leuchtenden Blumen in den Hängekörben, den weiten grünen Fächer am Berghang, dessen unterer Teil noch keine Morgensonne empfangen hatte. Vermutlich pflegten die regulären Bewohner des K URHUS nach ihrer nächtlichen Wanderschaft auszuruhen. Es gab noch so vieles, das Margaret nicht verstand.
    Im Hotel in Sovastad hieß es, man sei bereits für die Nacht ausgebucht, und bemühte sich auch nicht allzusehr um Höflichkeit. Wenn sie und Henry nicht gerade eine Woche in diesem Haus verbracht hätten und wenn dies nicht das bekanntermaßen vorurteilsfreie Schweden gewesen wäre, hätte Margaret aus dem Benehmen des Rezeptionspersonals gefolgert, daß eine alleinreisende Ausländerin kein willkommener Gast war. Alle drei blickten sie finster an, als sei sie eine wildfremde und unerwünschte Person. Dazu kam noch, daß der Taxifahrer, nachdem er ihren Koffer ins Hotel getragen hatte, unruhig herumstrich und augenscheinlich ebenso erpicht darauf war wie das Hotelpersonal, sie loszuwerden.
    »Können Sie mir etwas anderes empfehlen?«
    »Das Central.«
    »Sie wissen, daß ich morgen wiederkomme?«
    Sie starrten sie bloß an und sagten darauf nichts. Sie redete sich ein, daß sie nicht gut genug Englisch sprachen, um sie verstehen zu können.
    Der Taxifahrer fuhr sie äußerst mürrisch zum Central.
    Das Central war offenbar dermaßen voll, daß die ältere Frau am Schalter nicht einmal ihren Belegungsplan konsultieren mußte.
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