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(obwohl sie sich erinnern konnte, daß viele der anderen Gäste nicht sonderlich vermummt ausgesehen hatten, als sie aufgebrochen waren) und mit einem solchen Zähneklappern, daß ihr Kopf ihr wie ein blanker Schädel vorkam, ertastete Margaret sich langsam ihren Weg über die dunkle Terrasse, wobei sie den fast unsichtbaren Tischen und Stühlen auszuweichen versuchte und die verschwommene, blasse Kontur der Steinbrüstung zu ihrer Linken als Wegweiser nahm. Schließlich erreichte sie die wenigen Stufen zu dem Querpfad, auf dem Mrs. Slater vor langer Zeit in Erscheinung getreten war, stieg in ihren hochhackigen Schuhen mühsam hinab und wankte auf den Wald zu, den sie am Nachmittag betreten hatte, den Wald, über den die Meinungen anscheinend so sehr auseinandergingen, den Wald, wo ihre eigene Sicht der Dinge sich so deutlich verschoben hatte, wie sie sehr wohl wußte – und das, obwohl sie bloß eine ausländische Touristin gewesen war und für eine Zeitspanne gekommen war, die bei nüchterner Betrachtung eher nach Minuten als nach Stunden, Tagen oder Jahren zählte.
    Sie ging zwischen den Bäumen vielleicht fünfzig Meter weiter und machte dann halt. Sie war noch nicht einmal an dem Knotenpunkt angelangt, wo der breitere Pfad sich in die kleinen Schleichwege verzweigte. Ihr wurde klar, daß ihr, ginge sie weiter, auch das unscharfe Oval in ihrem Rücken, das mit weniger Dunkelheit gefüllt war, verloren gehen würde. Jetzt drang kein Laut aus der Küche des K URHUS , und kein Licht fiel aus irgendeinem Teil des Gebäudes durch das Blattwerk. Margaret dachte, daß das Personal wohl jeden Abend zum Schlafen nach Hause gehen würde. Denn das Personal – das Personal schlief selbstverständlich und mochte sich ohne das Gegenbild allumfassender Wachheit mit diesem Wohlleben durchaus leichter tun.
    Die Kälte erschien Margaret von allem am merkwürdigsten. Innerhalb von nur wenigen Minuten hatte sich ihr Körper so abgekühlt, daß ihr die Kälte nicht einmal mehr etwas ausmachte. Ihr war, als sei ihr Körper in einen einzigen Eisblock eingeschlossen, ruhiggestellt und ihrer Verantwortung entzogen. Sie fragte sich, ob man eingeschlossen in einen Eisblock noch immer ein Drittel seines Lebens mit geschlossenen Augen und schlafend verbringen würde.
    Das Zittern und Zähneklappern hatte jetzt aufgehört. Sie stand reglos und lauschte, da überhaupt nichts zu sehen war. Das unablässige leichte Rascheln des Nachmittags war immer noch zu hören. Da waren es wohl die Kleintiere des Tages gewesen, Margaret nahm an, daß es jetzt die Kleintiere der Nacht waren – noch zahlreicher, nach allem was sie hörte. Aber es kam ihr doch unwahrscheinlich vor, daß Kleintiere dasselbe Geräusch – und auch noch in immer der gleichen Lautstärke (so daß man es nur hörte, sofern man selbst keinen unnötigen Lärm mehr machte) – bei Tag und Nacht erzeugen sollten. Dann fiel Margaret ein, daß dies ein Wald sein mochte, in dem nichts schlief, vielleicht nicht einmal die Bäume.
    Das leise Rascheln ging immer weiter. Hin und wieder stieß der Schatten eines schwarzen Vogels nieder. Außerhalb und jenseits des glasklaren Eises, das sie einschloß, kam in Margaret mit einem Mal die Befürchtung auf, daß in der Dunkelheit einer der umherwandelnden K URHUS -Gäste an ihr vorbeihuschen konnte. Sie war nicht sicher, ob sie das verkraften würde.
    Wahrscheinlich war es diese vergleichsweise banale Befürchtung, die den Ausschlag gab. Wahrscheinlich hängen alle Entscheidungen der Welt an seidenen Fäden. Obwohl sie nicht daran zweifelte, daß sie sich bald dafür verachten würde, entschloß sich Margaret zum Rückzug; sie wollte es dabei belassen und unverzüglich zum K URHUS zurückkehren, auf ihr Zimmer gehen, mit dem riesigen schwedigen Handtuch die Eisesstarre wegfrottieren, ein heißes Bad nehmen, den Heizlüfter anstellen, falls es einen gab, sich – wie die Frauenzeitschriften das nennen – ins Bett kuscheln und sich um Schlaf bemühen, nötigenfalls sogar dafür beten, auch wenn kein einziges Mal in ihrem bisherigen Leben dergleichen erforderlich gewesen war. Und morgen würde sie, was dann nur noch eine Sache der Logik und Notwendigkeit wäre, nach Sovastad zurückkehren und sich während der kurzen verbleibenden Zeitspanne im K URHUS möglichst unsichtbar machen – ein verlorener Urlaubstag, gar nicht zu reden von Henrys Geld für diesen Tag. Vielleicht, dachte sie, hatte sie ihre Grenze erreicht, beträchtlich früher, als sie
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