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wiegt.
    Der allgemeine Hintergrund läßt sich thesenhaft so fassen: Ein sich konzentrierender Kapitalismus legt seinen Hobel an die ehrwürdigen Werte der upper class und schafft damit jene Unsicherheit, die James’ mit feinem Sensorium in ghost stories umsetzt – in Sujets, die von der realen Problematik freilich nur schwache Ahnung geben. Zeitgleich mit James schwingt die phantastische Literatur in ihre ›imperialistische Kehre‹. Bis in die Transzendenz der ghost story hinein entrichtet sie der tagtäglichen Erfahrung eines neuen, von Großindustrie und Bankkapital beherrschten Gesellschaftsrhythmus ihren Tribut. Die zwei interessantesten und wichtigsten Formen, in denen dies geschieht, sind der von dem Amerikaner Howard Phillips Lovecraft (1890–1937) entwickelte Cthulhu-Mythos und die psychologische Phantastik.
    In seinem Versuch, den Schrecken des 20. Jh. mythologische Grundlagen zu geben, mag Lovecraft von Lord Dunsany und Arthur Machen geprägt worden sein – zwei Autoren, denen er in seiner gelehrten Studie »Supernatural Horror in Literature« (1927/1936) gebührende Reverenz erwies. Während jedoch zumindest Machen an dem Strang folkloristischer Phantastik anknüpft, der sich in Großbritannien bis auf Walter Scotts »Wandering Willie’s Tale« (1824) und die Erzählungen des schottischen Schäfers James Hogg zurückführen läßt, entwirft Lovecrafts Cthulhu-Mythos (voll ausgebildet seit 1928) mit scheindokumentarischer Abfederung etwas ganz Neues, sehr Zeitgenössisches: das Bild nämlich einer Menschheit, die sich in geradezu äffischer Komparsenkunst in einem Schauspiel von kosmischen Ausmaßen herumdrückt, übrigens ohne die eigene Statistenrolle zu begreifen. Eine Rettung gibt es in diesem grausamen Kosmos nicht, nur ein Hinauszögern des Unausweichlichen in immer neuen Abwehrkämpfen – und die dunkle Erkenntnis, daß jede menschliche Einsicht im Schrecken mündet, in der Ahnung oder Bestätigung der eigenen Nichtigkeit.
    Mit solchen Thesen vollstreckt H. P. Lovecraft – im Einvernehmen mit den natürlich sehr viel nüchterneren kosmologischen Naturwissenschaften – nach dem Untergang des behütenden theozentrischen nunmehr die Preisgabe des fragilen anthropozentrischen Universums. Zugleich aber berichtet er im Medium seiner düster glosenden Neo-Mythologie über den Zustand der ›modernen Gesellschaftswelt‹, deren rigoros deklassierenden Tendenzen er im eigenen Lebenslauf schmerzlich, bis hin zur existentiellen Bedrohung wahrnahm. So durchpulst alle seine Erzählungen die Erfahrung unausweichlichen Niedergangs – der nachträgliche Kultstatus des Autors als Projektions- und Identifikationsfigur dürfte sich hieraus erklären.
    Düster auch das Universum, das die psychologische Phantastik entwirft – wie sich ja generell in der phantastischen Literatur der Grad und die Zumutung des Schreckens bis hin zu den ›splatter punks‹ unserer Tage schubweise steigern. Man hat diese Tendenz, phänomenologisch verkürzend, aus ›Überreizung‹ erklären wollen. Sie wird indessen mehr sein: ein Selbstrettungsversuch nämlich. Wer in der phantastischen Vorwegnahme äußersten Schreckens, in der Bewältigung literarisch (oder filmisch – man denke an die ›Katastropenfilme‹ der sechziger und siebziger Jahre) gegebener Extremsituationen bewährt ist, dem kann der real existierende Alltag nur mehr wie ein gut geführter Schrebergarten erscheinen.
    Was aber, wenn der gesellschaftliche Wahnsinn in den eigenen Kopf einzieht? Wenn man seiner selbst nicht mehr sicher sein kann? Hoffmanns »Ritter Gluck«, ein »Fantasiestück in Callots Manier«, erschien 1809, Edgar Allan Poes »William Wilson« 1839, Le Fanus schon erwähnte Erzählung »Green Tea« 1872, Robert Louis Stevensons »Strange Case of Dr Jekyll and Mr Hyde« 1886, Charlotte Perkins Gilmans »The Yellow Wall Paper« 1892 – Stufen einer nach innen führenden Depravation, die vom poetischen Schwebezustand der Gluck-Geschichte zum selbst erfahrenen Wahn führen.
     
    Robert Aickmans Sonderstellung innerhalb der psychologischen Phantastik resultiert aus seiner weiteren Radikalisierung des Genres: Der englische Autor gibt die traditionelle Dichotomie von Vernunft und Wahn, geistiger Gesundheit und Krankheit auf, da dies für ihn nur Begriffshülsen oder flüchtige Zustandsbeschreibungen, aber keine exakten Definitionen sind. Mit dem ganz andere Wege gehenden Lovecraft teilt Aickman die Überzeugung vom Miniaturformat des Menschen, der
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