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Titel:
Autoren: Peter Pan
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›konstanten Motive« ... gegenüber den ›Affekten‹ zu behaupten und zur Geltung zu bringen: – daran also, ihn zu einer »Persönlichkeit« in diesem, formal-psychologischen Sinne des Wortes zu erziehen. Ein waches, bewußtes, helles Leben führen zu können, war, im Gegensatz zu manchen populären Vorstellungen, das Ziel – die Vernichtung der Unbefangenheit des triebhaften Lebensgenusses die dringendste Aufgabe -, Ordnung in die Lebensführung derer, die ihr anhingen, zu bringen, das wichtigste Mittel der Askese« (Weber, 1965, S. 135f.).
    Wenn sich die stimmungsmäßige Innerlichkeit der lutherischen Frömmigkeit wenigstens in Form ihrer sentimentalen weltlichen Verwandten, der deutschen Gemütlichkeit, in die Gegenwart gerettet hat, so haben Gefühle für den säkularisierten calvinistischen Sozialcharakter offenbar ihren fragwürdigen Charakter behalten. Sie sind nichts Besonderes, das man bewahren oder pflegen müßte, sondern eher etwas Minderwertiges, das man am besten – und natürlich möglichst erfolgreich – verkauft. Die Kombination von rastloser Berufstätigkeit und asketischer Durchdringung des Lebens in calvinistisch geprägten Kulturen lassen Gefühle dort womöglich leichter zum Gegenstand geschäftlichen Handelns werden als anderswo.
    Insofern ist es zumindest ein reizvoller Gedanke, auf die gemeinsame Herkunft der Figur des Holländermichel und von Linda de Mol aus einer calvinistisch geprägten Kultur hinzuweisen, in der die Menschen für ökonomische Möglichkeiten schon immer ein besonders feines Gespür hatten. (Zur Vermeidung von Mißverständnissen ist allerdings sogleich anzufügen, daß es im folgenden nicht um die Privatperson Linda de Mol geht, sie mag eine bezaubernde, sympathische und warmherzige Persönlichkeit sein. Hier interessiert nur ihr beruflicher Auftritt, die prominente Medienfigur.) Allerdings gibt es hinsichtlich der Eigenschaften des neuen Menschen doch gravierende Unterschiede. So geht es bei ihren Sendungen anders als im Märchen ganz und gar nicht um Gefühllosigkeit, sondern um das Gegenteil, nennen wir es vorläufig einmal Gefühlsseligkeit. Ein wichtiger Aspekt kommt hinzu: Die Gefühle müssen nicht wirklich und intensiv erlebt, es reicht völlig, wenn sie überzeugend dargestellt werden. Und schließlich der entscheidende Unterschied: Das erlebte oder dargestellte Gefühl wird verkauft – von den Sendungsteilnehmern an die Produzenten der Sendung, von diesen an einen Sender, vom Sender schließlich an die Werbewirtschaft, die es gegen die Aufmerksamkeit eines möglichst großen Publikums eintauscht. Die Darstellung und der Verkauf von Gefühlen bestimmt das berufliche Handeln von Linda de Mol.
    Würde Wilhelm Hauff heute leben, und beschriebe er diesen Sozialcharakter, so hätte er dem Märchen vermutlich den Titel Das gekaufte Herz gegeben. Da gesellschaftliche Umbrüche heute nicht mehr (nur) von Schriftstellern oder Dichtern, sondern vor allem von Soziologen diagnostiziert werden, wundert es nicht, daß es das Buch mit diesem Titel aus der Feder einer amerikanischen Soziologin schon gibt. Sie heißt Arlie Hochschild, und ihr Thema ist die Kommerzialisierung der Gefühle in der modernen kapitalistischen Gesellschaft. Sie behauptet, daß der Kapitalismus die Gefühle nicht etwa – wie zu Hauffs Zeiten – eliminiert, sondern sie ganz im Gegenteil für kommerzielle Zwecke instrumentalisiert. Gefühle stören also nicht mehr den reibungslosen Ablauf kapitalistischer Produktions- und Distributionsweisen, sie werden selbst zur handelbaren Ware: »Wer Gefühlsarbeit im Dienstleistungsbereich verrichtet, gleicht demjenigen, der körperliche Arbeit bei der Herstellung von Dingen leistet: beide sind den Gesetzen der Massenproduktion unterworfen. Aber wenn das massenhaft herzustellende Produkt ein Lächeln, eine Stimmung, ein Gefühl oder eine Beziehung ist, dann wird es immer mehr Teil des Unternehmens oder der Organisation und gehört immer weniger zum Selbst« (Hochschild, 1990, S. 155).
    Solche Gefühlsarbeit ist vor allem in Berufen gefragt, in denen ein öffentlich sichtbarer Ausdruck spezifischer Emotionen das erfolgsentscheidende Merkmal ist. Beispiele dafür sind etwa Stewardessen, sie müssen das Gefühl von freundlicher Geborgenheit vermitteln, oder Verkäuferinnen, die dem Kunden Wertschätzung und Wohlwollen zeigen, auch Krankenpflegepersonal, das Mitleid, Trost und Anteilnahme präsentieren muß, sowie Huren, die Lust und Begehren zu simulieren
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