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Titel:
Autoren: Peter Pan
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dich an einen bekannten Menschen erinnert. Du siehst die Augen deiner Schwester im Gesicht des Passagiers, der vor dir sitzt. Diese Vorstellung ruft den Wunsch nach freundlicher Bedienung wach. Ich stelle mir die Kabine gern als mein Wohnzimmer vor. Wenn jemand bei mir zu Hause hereinschaut, biete ich ihm ja auch etwas an, auch wenn ich ihn noch nicht kenne. Wenn ich diese Situation auf eine große Gesellschaft – auf die 36 Passagiere, für die eine Flugbegleiterin zuständig ist – übertrage, bleiben meine Gefühle doch die gleichen«, beschreibt eine Stewardeß ihre alltägliche Gefühlsarbeit (Hochschild, 1990, S. 100f.).
    Es leuchtet unmittelbar ein, daß derartiges Gefühlsmanagement anstrengend ist und auf Dauer zu erheblichen psychischen Belastungen führen kann: Insbesondere die echten Gefühle werden in unserer Gesellschaft als ein sehr zentrales und privates Element der Persönlichkeit definiert, von daher besteht die Gefahr, daß der Verkäufer deren Nutzung für kommerzielle Zwecke als eine besonders demütigende Art der Prostitution erlebt. Die Hure verkauft nur die zeitweise Nutzung intimer Teile ihres Körpers, der Gefühlsarbeiter hingegen verkauft zentrale Teile seines Selbst. Entsprechend löst das kontinuierliche Erleben eines für kommerzielle Zwecke »funktionalen Ichs« (Neckel, 1991) beim durchschnittlichen Gefühlsarbeiter Scham aus. Er muß den verkäuflichen Teils der Persönlichkeit von dem Teil abgrenzen, der als unverkäuflich angesehen wird. Die dazu eingesetzten Reaktionsweisen lassen sich grob als Verweigern oder Anpassen bezeichnen.
    Der Verweigerer läßt sich nicht auf emotionsstimulierende Sozialtechniken ein, er zeigt seine Gefühle so, wie er sie hat. Interessanterweise kann man gelegentlich mit dieser Haltung einer nicht inszenierten Echtheit auch kommerzielle Erfolge erzielen. Jeder kennt vermutlich einen Kneipier oder Kellner, der sich durch besondere Ruppigkeit auszeichnet und eben deswegen gerne aufgesucht wird. Solche Typen werden gemeinhin als »Originale« gehandelt. Wenn überhaupt, schlüpft der Verweigerer für sich und andere erkennbar in eine Rolle, deren emotionale Anteile mit dem Ende der Interaktion ebenfalls beendet sind.
    Schwieriger und vermutlich im Alltag häufiger anzutreffen ist hingegen die Haltung des Anpassers: Er fügt sich um anderer persönlicher Ziele willen den Anforderungen der Käufer und versucht, je nach Situation entsprechende Emotionen her- und darzustellen. Da er sein wahres Selbst in diesem Prozeß nie ganz ausschalten kann, erlebt er eine kontinuierliche innere Beschämung. Er weiß ja in jedem Moment, daß er zentrale Teile seines Charakters verkauft. Da dieses Wissen den Erfolg seiner Gefühlsarbeit gefährdet, muß er nicht nur seine Käufer, sondern auch sich selbst immer wieder davon überzeugen, daß er tatsächlich fühlt, was er zeigt.
    Besonders dieser Typus muß sich Mechanismen schaffen, mit denen er sein wahres Selbst verteidigen und wenigstens zeitweise wieder zu sich selbst kommen kann. Dies kann sich beispielsweise in Ventilsitten äußern, die hinter den Kulissen ausgeführt werden: Von Hochschild (1990) befragte Stewardessen beispielsweise geben an, daß sie Ärger über Flugpassagiere durch Beißen in einen Eiswürfel, wiederholte Betätigung der Toilettenspülung oder durch aggressive Gedanken (»... ein Abführmittel in den Kaffee schütten ...«) bekämpfen würden. Auch die Teilnahme an klinisch-therapeutischen Selbsterfahrungsgruppen, der Austausch mit anderen Betroffenen, »after work parties« oder schlicht das Gespräch mit dem Lebenspartner gehören zu den entsprechenden Schutzmaßnahmen. Daß sie nicht immer dauerhaft erfolgreich sind, womöglich grundsätzlich nicht sein können, zeigt u. a. die hohe »Burnout«-Quote in den »helfenden Berufen« der Ärzte, Psychologen oder Lehrer.
    Es gibt aber noch eine dritte Variante, für die dies alles nicht gilt. Nennen wir sie vorläufig die Schauspieler. Das sind Menschen, denen emotionales Oberflächenhandeln leichtfällt. Ihre Gefühle sind schnell ausgelöst, zugleich (und notwendigerweise) auch flach und oberflächlich. Sie haben einen ausgeprägten Erlebnishunger, interessieren sich für alles Lebhafte, Farbige, emotional Aufgeladene und Provozierende. Es macht ihnen Spaß, andere Menschen für die eigenen Ziele manipulativ zu instrumentalisieren. Der erwähnte »geborene Verkäufer« ist die alltagssprachliche Bezeichnung für diesen Typus, der sich in der
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