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Zwischenstation Gegenwart (German Edition)

Zwischenstation Gegenwart (German Edition)

Titel: Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
Autoren: Sandra Neumann
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mir die Freundschaft kündigte. Darum verabredete ich mich mit ihr zu einem längst überfälligen Treffen. Immerhin musste ich ihr noch beichten, dass es einen Mann in meinem Leben gab. Phil hatte bereitwillig das Feld geräumt und nutzte den Abend, um sich mit seinem besten Freund Marek zu treffen, den er in den letzten Wochen ebenfalls stark vernachlässigt hatte. Damit wir nicht verhungerten, war ich zum türkischen Feinkosthändler um die Ecke gegangen und hatte uns diverse Cremes, eingelegte Peperoni und was das Herz sonst noch so begehrte besorgt. Mhm, mir lief schon bei dem Gedanken an diese Leckereien das Wasser im Mund zusammen. Vielleicht hätte ich Phil vorwarnen sollen, denn sobald ich irgendetwas davon gegessen hatte, würde ich schmecken wie ein ganzes Knoblauchfeld. Ich sollte ihm unbedingt später etwas davon anbieten, wenn ich wollte, dass er die Nacht mit mir verbrachte. Während ich damit beschäftigt war, die Sachen aus ihren Plastikschälchen in Tapas-Schüsseln umzufüllen, klingelte es an der Tür. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass das unmöglich Marie sein konnte. Bis zu unserer Verabredung war noch Zeit, und in den langen Jahren unserer Freundschaft war Marie niemals zu früh aufgetaucht. Schnell wusch ich meine Hände, trocknete sie und ging zur Tür. An der Gegensprechanlage meldete sich niemand, stattdessen klopfte es an der Tür. Vorsichtig lugte ich durch den Spion nach draußen und erblickte einen Paketboten oder besser gesagt die Schirmmütze eines Boten. Ich hatte nichts bestellt, also musste ich wieder Packstation für meine bestellsüchtige, ungeliebte Nachbarin spielen.
    »Für Becker?«, fragte ich, als ich die Tür öffnete. Doch statt mir eine Antwort oder ein Paket zu geben, hielt mir der Bote, der den Kopf gesenkt hielt, eine Art Kugelschreiber vor die Nase und drückte einen Knopf , als wolle er die Mine des Kugelschreibers aktivieren.
    Das war nicht gut, gar nicht gut, warnte mich etwas in meinem Kopf. Bevor ich ihm jedoch die Tür vor der Nase zuschlagen konnte, wurde ich von einem gleißenden Blitzstrahl geblendet, der nicht nur meine Augen traf, sondern sich seinen Weg direkt in mein Gehirn bahnte. Ein stechender Kopfschmerz durchfuhr mich und für einen Moment war ich komplett geblendet. Nur langsam kehrte mein normales Sehvermögen zurück und ich starrte in mein leeres Treppenhaus.
     
    Hatte es geklingelt oder warum hatte ich die Tür aufgemacht? War ich jetzt schon so überarbeitet, dass ich nicht mehr wusste, warum ich zur Tür gegangen war? Waren das die ersten Vorboten vom berühmten Burn-out? Bisher hatte ich mich nicht als Kandidatin für diese Erkrankung gesehen und war schon ein wenig erschrocken darüber, dass ich mich nicht erinnern konnte, was mich zur Tür gebracht hatte. Musste wohl ein anstrengender Tag gewesen sein. Ich versuchte mir die Ereignisse des Tages in Erinnerung zu rufen, doch so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte mich an nichts erinnern. Das Letzte, woran ich mich erinnerte, war, dass ich mit meinem Kollegen auf dem Schulparkplatz Zeuge eines Autounfalls geworden war. Die Typen waren aufeinander losgegangen und ich war drauf und dran gewesen, dazwischenzugehen. Doch wie es schlussendlich ausgegangen war, daran konnte ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Aber jetzt war ich hier in meiner Wohnung. Wie war ich hierher gekommen? Was war los? Ich erinnerte mich daran, dass ich am Abend noch mit Kollegen weggehen wollte. Hatte ich zu viel getrunken und einen Filmriss? Ich eilte ins Wohnzimmer, holte mein Handy aus der Tasche, um zu prüfen, welchen Tag wir überhaupt hatten. Der Blick auf mein Display ließ mich an meinem Verstand zweifeln. Der Tag des Autounfalls war am selben Tag wie unser Schulfest gewesen, Anfang September, und mein Handy wollte mich glauben lassen, dass bereits Mitte November war! Das konnte nicht sein, mein Telefon war bestimmt defekt. Zeitung! Ich hatte die Tageszeitung abonniert, die log nicht. Ich sprintete in die Küche und nahm die Zeitung vom Küchentisch. Mein Blick suchte das Datum in der oberen rechten Ecke. Nein, das konnte nicht sein! Als könnte ich mit einem Blinzeln das Datum auf magische Art und Weise ändern, blinzelte ich mehrfach, rieb mir die Augen, aber es half nichts. Auch die Zeitung wollte mich in dem Glauben lassen, dass es bereits Mitte November war! Wie konnte das sein?
     
    Es war, als wäre jemand mit einem Radiergummi durch meinen Kopf gegangen und hatte alles gelöscht.
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