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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition)
Autoren: Monika Maron
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meine Entscheidung hinterlassen hatte, sagte dann: Weißt du, Schuld bleibt immer, so oder so.
    Das hast du auch an diesem Abend gesagt, genau so: Schuld bleibt immer, so oder so. Den Satz habe ich nicht vergessen, und dass gerade du ihn gesagt hast.
    Ich weiß, du hast mich für eine tuttelige Hausfrau gehalten, sagte Olga.
    Seit diesem Abend nicht mehr. Wir haben eine ganze Flasche Wein getrunken, und du hast erzählt, dass du in Königsberg auf der Schauspielschule warst. Dich als Schauspielerin konnte ich mir nicht vorstellen, du warst zu schamhaft.
    Zu schamhaft, ach. Vielleicht. Aber das konnte ich nicht herausfinden. Erst kam der Krieg, dann Hermann, dann die Kinder. Ich wäre gern Schauspielerin geworden. Olga lachte, streckte die Arme graziös über den Kopf und sah für ein paar Sekunden aus wie auf dem Foto, das ich einmal gesehen hatte, Olga, sehr jung, fast noch ein Mädchen, mit sanften erwartungsvollen Augen, die Stirn verschattet von einem großen weißen Hut mit einer dunkelblauen, weißgepunkteten Schleife.
    Ich habe dich auch bewundert, sagte ich. Weil du nicht so warst wie ich.
    So ist das, sagte Olga, man will immer sein, wer man nicht ist. Ich wäre gern gewesen wie du, ein bisschen jedenfalls, und du wie ich. Aber man hat nur ein Leben.
    Du hattest ein Leben, ein einziges ganzes Leben. Ich hatte vier Viertel oder sechs Sechstel, und an manche kann ich mich kaum erinnern.
    Du musst jetzt gehen, sonst kommst du zu spät zu meiner Beerdigung, sagte Olga und begann schon, sich in der allgemeinen Unschärfe aufzulösen.
    Halt, warte noch, rief ich.
    Aber über den Sessel, in dem eben noch Olga gesessen hatte, flatterte nur der Schatten des Vorhangs, den der Wind in der offenen Balkontür blähte.

V or einiger Zeit hatte ich Christina, die weibliche Stimme auf meinem Navigationsgerät, durch Stefan ersetzt. Stefan gab zwar die gleichen Anweisungen wie Christina, sie kamen mir trotzdem vertrauenswürdiger vor. Stefan beruhigte mich, während Christinas aufreizend kühle Stimme mich ständig animierte, mit ihr zu streiten. Was heißt in vierhundert Metern, woher soll ich wissen, wo in vierhundert Metern ist, sagte ich dann. Oder wenn sie vor einer Kreuzung noch immer keine Anweisung gegeben hatte, rief ich: Ja, kannst du vielleicht mal was sagen. Mit Stefan pflegte ich einen höflicheren Umgang, was mir natürlich zu denken gab. Kurz bevor die Winterfeldtstraße auf die Martin-Luther-Straße trifft, ordnete Stefan an, links abzubiegen. Ich sollte auf die Stadtautobahn fahren, was ich aber unbedingt vermeiden wollte. Ich fuhr nach rechts. Bis zur Kleiststraße ermahnte Stefan mich, bei der nächsten Gelegenheit zu wenden. Seine Stimme, schien mir, klang mit jedem Befehl strenger. Aber ich verweigerte diesmal meine rudimentäre, wenn auch nur auf geographische Orientierungsangelegenheiten beschränkte Autoritätsgläubigkeit in männliche Stimmen und fuhr weiter in Richtung Siegessäule. Bis Pankow kannte ich den Weg, und bis dahin würde Stefan sich gewiss beruhigt haben. Ab und zu meldete er sich, aber ich hörte nicht mehr hin, zumal die anhaltende Irritation meiner Sehorgane mir alle Aufmerksamkeit für die Straßenführung und die mich umgebenden Fahrzeuge abverlangte. Nachträglich muss ich zugeben, dass ich eine außerordentliche Gefährdung im Straßenverkehr dargestellt habe, und es muss an meiner allgemeinen Verblendung gelegen haben, dass mir das nicht bewusst war. Die Stadt, ihre baumberänderten Straßen und sommerlich gekleideten Bewohner, sogar die Autos, auf denen die Sonnenstrahlen zu funkelnden Sternen explodierten, erschienen mir so schön, schöner, als ich sie je zuvor gesehen hatte. Eine liebliche Heiterkeit lag über den grob verpixelten Bildern, die mich in einen Glückstaumel versetzten, als wäre ich nicht auf dem Weg zu Olgas Beerdigung, sondern zu einem Ort ungekannter Verheißung. In der Rathenower Straße schlugen aus der Aral-Tankstelle feurigblaue Flammen, stiegen in einer Säule strudelnd himmelwärts, um in der Unendlichkeit zu zerfließen, als käme die ganze strahlende Himmelsbläue nur daher. Sogar die Prinzenallee kam mir weniger trostlos vor als an anderen Tagen. Die schwergewichtigen Matronen in ihren kittelartigen langen Mänteln schaukelten gemütlich wie alte Dampfschiffe durch die Gegend, auf den Köpfen der jungen Frauen flatterten Wimpel in grellen Farben, nur die jungen Männer blieben unverschönt, im Gegenteil, ich konnte die Wolke von Testosteron, die
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