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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition)
Autoren: Monika Maron
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ihrem Wein und sagte, wieder mit diesem Lächeln und die Augen irgendwo unter die Decke gerichtet: Ist ja vielleicht auch reizvoller, das Honorar in Westgeld zu kassieren.
    Ich öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, aber ehe mir eine Antwort auf Rosis Ungeheuerlichkeit eingefallen war, hatte mein Arm sich selbständig gemacht und das volle Weinglas, das ich gerade in der Hand hielt, über Rosis neues lachsfarbenes Kleid geschüttet. Rosi schrie auf und stürzte weinend ins Bad. Bernhard holte einen Lappen aus der Küche, um den Wein aufzuwischen, der Rosis Kleid verfehlt hatte. Ich rief ihnen wütend ein paar Schimpfworte nach, wovon Gesinnungslumpen zu den harmlosen gehörte, und zündete mir mit zitternden Händen eine Zigarette an.
    Ich wusste nicht mehr, warum ich gerade an diesem Tag die Beherrschung verloren hatte. Vielleicht hatte ich einfach zu viel getrunken. Aber ich erinnerte mich an Olgas hilfesuchenden Blick, den sie mal auf ihren Sohn, mal auf mich richtete, bis Hermann auf den Tisch schlug, dass Gläser und Teller klirrten, und mit patriarchalischer Schärfe in der Stimme Respekt vor der Mutter und ihrem Ehrentag forderte. Wer sich nicht dazu imstande sehe, müsse gehen, sagte er. Ich rief Fanny, die mit den anderen Kindern im Garten spielte, und ging. An Olga schrieb ich einen Brief, in dem ich mich für meine Entgleisung entschuldigte und ankündigte, ich würde bei nächsten Gelegenheiten Fanny allein schicken, da ich nicht garantieren könne, mich in Zukunft besser zu beherrschen. Kurz darauf rief Olga an und sagte: Besuch mich doch allein, das ist besser. Für alle.
    Seitdem habe ich Bernhard nicht mehr gesehen, bis auf einmal, als wir schon in Schöneberg wohnten.
    Und daran kannst du dich nicht erinnern, fragte ich.
    Ist das noch wichtig? Eigentlich habt ihr immer gestritten, Rosi, Bernhard und du, sagte Olga. Ich erinnere mich nur an einen einzigen langen Streit. Schließlich muss ich jetzt ein kleines Gepäck für die Reise packen.
     
    Und dann war Olga plötzlich verschwunden. Ich saß allein auf der Bank, Olgas Stimme noch im Ohr. Der Park, der mir gerade noch menschenleer erschienen war, hatte sich auf geheimnisvolle Weise bevölkert. Überall, auf den Wiesen und Wegen lagen, saßen, liefen Leute, einige hatten es sich sogar auf den unteren Ästen alter Bäume bequem gemacht. Seltsam war, dass ich manche Menschen so deutlich und scharf erkennen konnte wie Olga, andere nur verschwommen, wie ich auch die Bäume und Sträucher, die Bank, auf der ich saß, immer noch in tanzender Partikelgestalt wahrnahm. Aber ich hatte mich wohl längst damit abgefunden, dass an diesem Tag Dinge geschahen, an die ich eigentlich nicht glaubte. Sonst hätte ich es nicht möglich, wenn auch nicht normal gefunden, dass die tote Olga aus dem Radio zu mir sprach oder plötzlich neben mir auf der Parkbank saß und ebenso wieder verschwand. Ich blieb allein auf der Bank und überlegte, was ich mit diesem angebrochenen Tag anfangen wollte. Die Möglichkeit, nach Hause zu fahren, mir kalte Kompressen auf meine verwirrten Augen zu legen und abzuwarten, dass die untergehende Sonne den Spuk dieses Tages beenden würde, schloss ich aus. Immerhin war es noch die Stunde, in der Olga aus dem Leben verabschiedet wurde, und wenn ich auch nicht mit den anderen an ihrem Grab stand, sollte diese Zeit doch ihr gehören. Ich blieb sitzen, schloss die Augen und gab mich ganz meinem unerklärlichen, rauschhaften Zustand hin. Ich musste wohl für einige Minuten eingeschlafen sein. Ein Geräusch schreckte mich auf, das ich im Halbschlaf für das Knistern und Knacken eines nahen Feuers hielt, das sich im Wachsein aber als das wilde Zerknautschen einer sperrigen Papiertüte erwies, aus der der Mann neben mir vermutlich die Zuckerschnecke gezogen hatte, die er nun zwischen den Lippen hielt, während er mit beiden Händen die Tüte zu einem Papierball knetete, um ihn dann mit der Fußspitze auf die Wiese zu kicken. Er zog eine Bierflasche aus der Jackentasche und öffnete sie mit den Zähnen. Ich ließ mein Feuerzeug fallen und rutschte, während ich es aufhob, wie versehentlich an den äußersten Rand der Bank. Ich hätte auch aufstehen und einfach weggehen können, scheute mich aber, den Mann, dessen Aussehen und Gebaren mich zwar abstießen, zugleich aber auch mein Mitleid erregten, durch einen demonstrativen Aufbruch zu verletzen. Als er mich ansah, verstörten mich die wachen, wasserblauen Augen in seinem vom Alkohol gezeichneten
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