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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition)
Autoren: Monika Maron
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schaffen als die »Göttliche Komödie« oder den »Ulysses« oder die »Recherche«. Schon Schiller habe es vor dem »tintenklecksenden Säkulum« geekelt. Er selbst jedenfalls werde sich lieber der Lektüre der großen Meister widmen, statt sein Leben mit eigener Stümperei zu verplempern.
    Hendrik bewunderte Bruno. Er schwärmte von seinen universalen Talenten, seinem vor Bosheit nicht zurückschreckenden Witz, seiner Bildung. Nur wenn er davon sprach, dass Bruno nicht den geringsten Ehrgeiz zeigte, die beneidenswerten Gaben, mit denen Natur und Herkunft ihn ausgestattet hatten, einem beruflichen Ziel zu widmen, mischte sich unter die Bewunderung zuweilen Verachtung, sogar Wut. Dass Bruno lustvoll und freigiebig an seine Saufkumpane verschleuderte, was er selbst in quälerischen Tagen und Nächten am Schreibtisch mühevoll aus sich herauswrang, demütigte ihn. Brunos Selbstverachtung müsse ihn, der mit schmalerem Talent ausgestattet war, selbstverständlich einschließen, glaubte Hendrik und sprach Bruno das Recht, aus seinen Geistesgaben nichts als ein Vergnügen zu machen, rundweg ab. Ein Talent enthalte die Verpflichtung, es zu nutzen, behauptete er. Stattdessen verdingte sich Bruno als Redakteur bei einer eher unbedeutenden wissenschaftlichen Zeitschrift, wo er mit minimalem Arbeitsaufwand seinen Lebensunterhalt sichern und für den Rest des Tages mit Leopold Bloom durch Dublin flanieren oder sich mit dem Konsul unter dem Vulkan dem Mescal ergeben konnte.
    Bei unserem Umzug nach Westberlin packte Hendrik eine Kiste mit Manuskripten und Notizen, die er einem befreundeten Diplomaten anvertraute, um sie der staatlichen Zollkontrolle zu entziehen. Auf einem Stapel lag ein blaues Heft mit der Aufschrift »Bruno  IV «. Es enthielt Formulierungen und Satzfetzen, auch ganze Passagen in zum Teil entgleisender Schrift, die Hendrik bei seinen Saufgelagen mit Bruno notiert haben musste. Einige davon fanden sich wörtlich in seinen Büchern.
    Ein paar dunkle Wolken waren aufgezogen, was ich wegen meiner angestrengten Augen als sehr angenehm empfand. Bruno saß still neben mir und erwartete wohl immer noch eine Antwort.
    Ich erinnerte mich an den Tag von Hendriks letztem Besuch bei Bruno genau, weil es der Tag war, an dem wir zum ersten Mal von Trennung gesprochen haben, an dem Hendrik zum ersten Mal von Trennung gesprochen hat.
    Er hat gesagt, du wolltest sterben, sagte ich, er hat gesagt, wer so säuft wie du, will sterben.
    Bruno stieß ein krächzendes, höhnisches Lachen aus. Ach ja, das ist die Logik derer, denen Verzweiflung so fremd ist wie dem Wurm der aufrechte Gang. Darf ich Ihnen das erklären, Gnädigste. Das Trinken, nennen wir es freiweg Saufen, ist in Wahrheit eine kolossale Anpassungsleistung der unglücklich Geborenen. Stellen Sie sich vor, Sie werden geboren und sind vom ersten Augenblick an unheilbar unglücklich. Sie ahmen nach, was Ihnen vor die Augen kommt, Sie plappern, verziehen den Mund zum Lachen, und alle Welt denkt, Sie sind ein normales glückliches Kind. Sie wollen niemanden enttäuschen und spielen Ihre Rolle. Und weil es so anstrengend ist, immerfort ein Glück zu spielen, das Sie nicht empfinden, lastet ein unverstandenes Unglück mit jedem Tag schwerer auf Ihren kindlichen Schultern, bis Sie alt genug sind für die erste Begegnung mit Ihrem Retter, dem Alkohol, in meinem Fall ein Glas Sekt der Marke Rotkäppchen, mit dem ich vierzehnjährig auf das neue Jahr anstoßen durfte. Ich trank es mit Widerwillen, dann aber, nach einigen Minuten, breitete sich eine unbekannte wärmende Leichtigkeit in mir aus, meine Glieder lockerten sich, als wären sie von einer Rüstung befreit, eine unwiderstehliche Lust zu lachen überfiel mich, der ich doch Lachen bis dahin nur als höfliche Pflicht kannte. Unbemerkt von meinen Eltern trank ich noch zwei, drei Gläser und berauschte mich an meinem Glücklichsein, das ich am nächsten Tag natürlich mit ernüchternder Übelkeit bezahlte. Seit dieser Silvesternacht aber trieb mich eine unstillbare Sehnsucht nach jenem glückseligen Zustand, der mich endlich gleichmachte mit den anderen Menschen und von dem ich nun wusste, wie ich mich in ihn versetzen konnte. Vielleicht aber hätte sich doch ein anderes Heilmittel finden lassen, das mir einen ähnlichen Rausch hätte bescheren können, wäre mir nicht trotz meiner Jugend schnell bewusst geworden, in welche dumpfe, von allem Geistigen gelöste, die menschliche Intelligenz verhöhnende Gesellschaft ich
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